von Volker Schmidt
In den vielfältigen widerständigen linken Bewegungen in Deutschland fehlt häufig die Erwähnung von Kultur und der Kunst, dabei entstehen und vollziehen sich doch sämtliche gesellschaftliche Veränderungen über einen kulturellen Prozess und tragen ihr Spiegelbild in der künstlerischen Verarbeitung. Zudem wird heute jede Veränderung auch ein medialer Vorgang sein müssen, und in diesem Zusammenhang treten die Bedeutung von Kunst und kulturellen Bedeutungssystemen mächtig in den Vordergrund.
Wir leben in der Welt der nichträumlichen Kommunikation, in der Beziehung hat es tatsächlich eine revolutionäre Umwälzung gegeben, welche in ihrem Ausmaß ungeheuer ist. Denn die vorherrschende Beziehung in dieser nichträumlichen Kommunikation ist unilateral, der Mensch als Rezipient der Medien ist "hörig" und "äugig", aber nicht mehr "mündig", weil er keine Antwort geben kann.
Jemand beklagte unlängst die "totale Entkoppelung von Ernst und Kunst" in den westlichen Kulturen, und bei näherer Betrachtung ist dies wirklich ein Verlust und könnte als Kunstfeindlichkeit unserer Kultur gedeutet werden. Hier und heute sind zwei, scheinbar schwer miteinander zu vereinbarende Feststellungen zu treffen:
- Die Kunst hat in unserer gesellschaftlichen Kultur derzeit keine politische Bedeutung, die Politik bedient sich der Kunst auch kaum mehr zur Legitimation von Machtausübung, sondern allenfalls noch ihrer Funktionen als Dekoration. (Dementsprechend steht die Kunst in der Rangfolge der Themen des öffentlichen Diskurses auf einem der hintersten Plätze, es sei denn, es ereignet sich ein Vorfall wie der der IDOMENEO- Absetzung in der Frankfurter Oper, welcher aber genau besehen keine Debatte zur Kunst auslöste, sondern die Oper nur als Anlass für eine ganz andere Diskussion nutzte.)
- Niemals zuvor in der bekannten Geschichte, und dies ist nun wirklich bemerkenswert, erfreuten sich insbesondere die bildende Kunst, aber auch alle anderen Sparten, eines größeren privaten, aktiven wie passiven, Interesses in den westlichen Kulturkreisen als gerade heute.
Vielleicht können wir uns hinsichtlich beider Feststellungen noch glücklich schätzen (es kann schlimmer kommen), obwohl natürlich die Missachtung und Gleichgültigkeit der Politik auch verletzend auf den künstlerisch Tätigen wirken kann, wenn er oder sie sich als politische(r) Künstler(in) versteht!
Keine Kultur war bisher kunstfeindlich allein, sondern dazu immer auch durch weitere Unfreiheiten geprägt, wie durch ein in der Geschichte meist religiös verankertes Bedeutungssystem zur Regelung gesellschaftlicher Schichtungen. In unseren westlichen Gesellschaften ist "Kulturelles" aber nicht mehr eindeutig verschiedenen sozialen Schichten zuzuordnen. Eine solche Eindeutigkeit der "Kulturträgerschaft" ist in den sozialen Grenzziehungen in dem gleichen Maße verschwommen, wie das Bild einer klar gestapelten sozialen Hierarchie zur Beschreibung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse an Bedeutung verloren hat. Und es ging seit Anbeginn menschlicher Zeiten immer mehr um die Legitimation der Hierarchie als um den Konkurrenzkampf zwischen angeblich höheren gegen minderwertigere Kulturkomplexe oder Inhalte. In dem Maße, wie "Kulturelles" seinen Nutzwert für die soziale Unterscheidung einbüßte, verlor die Politik ihr Interesse an Kunst und Kultur. Mit dem Verlust dieser Bedeutung entstand ein beträchtliches "Unbehagen in der Kultur" und man spricht von einem "Verlust der Werte", gar dem Verlust des ehemals so mit Hoffnung befrachteten bürgerlich - humanistischen Projekts Europas.
Das "Kulturelle", das "Universum der Symbole", aus dem alle uns sinngebenden Bedeutungszuweisungen erwachsen, in denen auch Machtausübung legitimiert wird, erscheint heute als indifferent. Denn die kapitalistische Steuerung über die modernen Informationssysteme hinter der Kulisse dieser parlamentarischen Stellvertreterdemokratie wirkt fast unsichtbar und unwirklich, ihre Bemühungen, in einer kolossalen Ausweitung der "nichträumlichen Kommunikation" zu kompensieren, was ihr in traditionellen kulturellen Bedeutungssystemen verloren ging, verstecken sich hinter dem "Geschmack der Massen" und deren angeblicher oder tatsächlicher Konsumbedürfnisse und sind schwer zu fassen. Die Machtverhältnisse drücken sich aber gleichwohl überwältigend im "Kulturellem" aus, weil die durch die heutige Produktion von Waren und Dienstleistungen bestimmten Bedingungen zur vorherrschenden, riesenhaften Kraft der Gestaltung in unserer gesellschaftlichen Kultur gewachsen sind, auch wenn dies in Abrede gestellt wird und diese kulturgestaltende Kraft gar nicht als solche erkannt sein will. Dabei werden vom Kommerz kulturelle Bedeutungssysteme zu einer Ressource des Marktes degradiert, tradierte Symbole, Kunst, Interaktionsrituale, Archetypen und Wertvorstellungen werden in einem Prozess mit immenser Plastizität umgedeutet oder angeeignet, um sie verwertbar zu machen. In gewisser Weise ist hier eine "Ausverkaufskultur" entstanden, inflationäre Verwertung hat zu einer Verarmung in der Substanz geführt und Utopien jenseits der Zwänge des Marktes sind kaum mehr vorstellbar. Vielleicht deswegen entsteht das in seiner allgemeinen Verbreitung historisch einmalige, private Interesse an der Kunst, gleichsam als ein sehnsüchtiger Widerstand der Seele, welche über die "totale Entkoppelung von Kunst und Ernst" in Trauer verfällt und Erlösung sucht!
Dennoch, unser aller Gegenwart auf einem gemeinsamen Planeten, in einer gemeinsamen Umwelt, in Kooperation wie im Konflikt, ist eine Realität. Wir stehen in der Erkenntnis in die "Ökologie" jeglicher Lebenszusammenhänge und haben die Grenzen eines sich diesen Zusammenhangs verweigernden, ihm zuwider handelnden Denkens erreicht. In Bezug auf moralische Werte und kulturelle Ideale besteht heute ein weltumspannendes wechselseitiges Aufeinander-Angewiesensein, die Glaubhaftigkeit eines eigenen moralischen Standards ist in dem Maße gefährdet, wie anderswo systematisch Völkermord geduldet oder Hunger und Elend einfach ignoriert wird. Hier ist zuallererst "Kulturarbeit" im Sinne eines globalen, alle Grenzen überschreitenden Kommunikationsprozesses vonnöten, in dem die Kunst, wie zum Beispiel die Musik, als direkter und spontaner Ausdruck des Menschen als kulturelles Wesen ein bedeutsames, weil intuitives und daher vielen zugängliches Verständigungsmoment darstellt. In diesem Zusammenhang verstehe ich auch die Begriffe "emanzipatorische Bildung" und "Teilhabe". Um an diesem Kommunikationsprozess beteiligt zu sein, sollte jeder die individuellen Voraussetzungen erwerben können, wahre Teilhabe entsteht erst dann, wenn man mitsprechen kann und seinen Ausdruck findet. Deswegen unterschätze niemand die Kultur und den künstlerischen Ausdruck, wir Linken sollten dies schon gar nicht tun. Und dies sage ich, gerade weil diese Themen in der Partei „Die Linke“ so schwergängig zu bewegen sind.
Volker Schmidt