Es gibt keine Partei in Bremen, auch nicht in der jetzigen SPD/Grün/Linke Koalition der Landesregierung, die sich nicht zur dringend notwendigen "Digitalisierung" der Schulen bekennen würde. Bis hinunter in die Grundschule sollen mit dem von Merkel aufgelegten milliardenschweren "Digitalpakt" junge Menschen und die dort tätigen Lehrkräfte in den Genuss der digitalen Segnungen moderner Bildungtechnologien kommen. Zwar unterscheidet sich die Art der Begeisterung je nach Partei und hier und da tauchen auch vorsichtig kritische Untertöne auf, aber der Grundkonsens ist allgegegenwärtig.
Dieser Konsens kam nicht von ungefähr, sondern wurde über Jahre vorbereitet von einer wahren Armada von daran profitabel verdienenden Medienkonzernen und ihren Thinks Tanks, die Bertelsmann Stiftung vorneweg. Sie schafften es, unterfüttert von den steuersparenden Millionen ihres Medien-Weltkonzerns, als angeblich neutrale und überall (auch in Gewerkschaften?!) zitierbare wissenschaftliche Instanz, eine Pro Digitalisierung Studie nach der andern zu produzieren. Wer es wagt, den Kurs zu kritisieren, gilt gleich als "unmodern" und "rückwärtsgewandt", schlimmstenfalls wird sogar Bezug genommen auf die Ängste beim rasanten Ausbau der Eisenbahnverbindungen im 19. Jahrhundert, als eine von Skeptikern herbeifantasierte "Eisenbahnkrankheit" die Runde machte.
Interessant übrigens für alle (noch naiven) Freunde der Digitalisierung: Bill Gates (Microsoft), Jeff Bezos (Amazon) und andere Monopolisten des digitalen Kapitalismus erklärten, ihre eigenen Kinder bis zum 14. Lebensjahr von Bildschirmen möglichst fernzuhalten. Und die sog. "Wirtschaftseliten" schicken ihre eigenen Kinder gern auf Privatschulen, wo die Persönlichkeitsentwicklung im Vordergund steht und nicht die digitale Verblödung.
Aber es gibt lobenswerte und lesenswerte Ausnahmen:
- So setzt sich der Bremer Peter Köster am 22.05.2019 in den Bremer Nachdenkseiten mit den diesbezüglichen Aussagen in den Wahlprogrammen der Parteien vor der Bremer Bürgerschaftswahl kritisch auseinander, unter dem Titel: Digitalisierung der Schulen „Digital first, Bedenken second“ (Lindner) oderWarnung vor „postmodernen Digitrotteln“ (Teuchert-Noodt) ?
- So veranstaltete z.B. die GEW Baden-Württemberg (Kreisverband Böblingen) am 21.06.2017 eine Veranstaltung mit dem Referenten Peter Hensinger unter dem (auch diesem Beitrag vorangestellten) Titel: "Trojanisches Pferd "Digitale Bildung". Auf dem Weg zur Konditionierungsanstalt in einer Schule ohne Lehrer ? (Unter diesem LINK downloadbar)
- In der Villa Ichon in Bremen referierte auf einer Veranstaltung der Marxistischen Abendschule (www.masch-Bremen.de) am 25. Januar 2019 Prof. Dr. phil. Ralf Lankau (http://www.aufwach-s-en.de/vortraege_2019/) unter dem Titel: Kein Mensch lernt digital oder: Wem nützt die Digitalisierung des Unterrichts?
- Joachim Paul schrieb in TELEPOLIS am 02.08.2018 einen Beitrag mit dem Titel: Schulen und Digitalisierung reloaded
- So hielt die renommierte Hirnforscherin Frau Prof. Dr. Teuchert-Noodt einen bemerkenswerten Vortrag beim 30. Pleisweiler Gespräch am 21. Oktober 2018 mit dem Titel: „Verbaut die digitale Revolution unseren Kindern die Zukunft? – Erkenntnisse aus der Evolutions- und Hirnforschung“
Um sich eine Vorstellung zu machen von den Dimensionen, sei hier der oben genannte Peter Hensinger in den einleitenden Worten zu seinem Referat bei der GEW zitiert:
"Wir hatten schon viele Schulreformen, und nun wird von der Kultusministerkonferenz eine weitere angekündigt, die "Digitale Bildung": Unterricht mit digitalen Medien wie Smartphone und Tablet-PC über WLAN.Medien und Bildungspolitiker predigen Eltern, ihre Kinder seien in Schule und Beruf chancenlos, wenn sie nicht schon in der Grundschule Apps programmieren lernen.Die Hauptinitiative der Digitalisierung der Bildung kommt von der IT-Branche. Im Zwischenbericht der Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ steht, wer das Bundeswissenschaftsministerium berät nämlich Akteure der IT-Wirtschaft: Vom Bitkom, der Gesellschaft für Informatik (GI) über Microsoft, SAP bis zur Telekom sind alle vertreten (BUNDESMINISTERIUM 2016:23). Nicht vertreten dagegen sind Kinderärzte, Pädagogen, Lernpsychologen oder Neurowissenschaftler, die sich mit den Folgen der Nutzung von Bildschirmmedien bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Die New York Times schlägt in einer Analyse Alarm: "How Google Took Over the Classroom" (13.05.2017). Mit ausgeklügelten Methoden, den Hype um digitale Medien nutzend, greift Google nach der Kontrolle des US-Bildungswesens, auch der Kontrolle über die Inhalte.
Wer bei der Analyse und Bewertung dieser Entwicklung nur fragt "Nützen digitale Medien im Unterricht?", verengt den Blick, reduziert auf Methodik und Didaktik und schließt Gesamtzusammenhänge aus. Denn die digitalen Medien sind mehr als nur Unterrichts-Hilfsmittel. Diesen Tunnelblick weitet die IT-Unternehmerin Yvonne Hofstetter. Sie schreibt in ihrem Buch "Das Ende der Demokratie": "Mit der Digitalisierung verwandeln wir unser Leben, privat wie beruflich, in einen Riesencomputer. Alles wird gemessen, gespeichert, analysiert und prognostiziert, um es anschließend zu steuern und zu optimieren"(HOFSTETTER 2016:37). Grundlage dafür ist das Data-Mining - das Sammeln von Daten - für BigData Analysen. Die Haupt-Schürfwerkzeuge dazu sind das Smartphone, der TabletPC und das WLAN-Netz."
oder weiter unten in seinem Beitrag:
"Führt der Einsatz von digitalen Medien zu besserem Lernen?
„Wir müssen es als Realität betrachten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt“ (OECD-PISA Chef Andreas Schleicher). Konnte inzwischen mit Vergleichsstudien belegt werden, dass digitale Medien zu besseren Lernerfolgen führen als die bisherige "analoge" Erziehung? Nein, im Gegenteil. Dazu verweise ich auf die Beiträge auf der Anhörung im hessischen Landtag am 14. Oktober 2016 zum Thema „Kein Kind zurücklassen – Rahmenbedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“. Die dort vortragenden Experten Burchardt, Lankau und Spitzer weisen nach, dass alle bisherigen Untersuchungen ergaben, dass der Einsatz der digitalen Medien nicht zu besserem Lernen führt. (BURCHARDT 2016, LANKAU 2016, SPITZER 2016)."
Update 03.11.2019:
Anja Hirsch hat 2019 eine bemerkenswerte Studie über Stiftungen erstellt mit dem Titel: Gemeinwohlorientiert und innovativ?
Im Volltext zum kostenlosen Download verfügbar: https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/a7/25/94/oa9783839449844yo4xlqS6iyiH9.pdf
Darin heißt es auf Seite 124:
"Unternehmensnahe Stiftungen
Zu den identifizierten Unternehmensstiftungen – mithin also Stiftungen, die von Unternehmen gegründet und finanziell ausgestattet werden – gehören:
BMW Stiftung Herbert Quandt
DFL Stiftung (bis 2017: Bundesliga Stiftung) 45
Deutsche Bahn Stiftung
innogy Stiftung (bis 2016: RWE Stiftung)
TUI Stiftung
Vodafone Stiftung
Zu den identifizierten unternehmensverbundenen Stiftungen – mithin also Stiftungen, die Anteile an Unternehmen halten – gehören:
Bertelsmann Stiftung
Freudenberg Stiftung
Körber Stiftung
Robert Bosch Stiftung (RBS)
Was bedeutet diese Aufzählung für die politische Bildung? Ist bei diesen Stiftungen davon auszugehen, dass ihre gemeinnützigen Stiftungsaktivitäten – also auch die in der politischen Bildung – zumindest teilweise an Unternehmensinteressen ausgerichtet werden? Empirische Forschung, die dieser Frage systematisch und vergleichend nachgeht, existiert bislang nicht. Jedoch wird im öffentlich‐medialen Diskurs und auf Basis journalistischer Recherchen genau diese Frage diskutiert: am Beispiel der Förderung der Digitalisierung im Bildungsbereich durch die Unternehmensstiftung Deutsche Telekom Stiftung und die unternehmensverbundene Bertelsmann Stiftung. Sowohl für die Deutsche Telekom als auch für den Bertelsmann-Konzern ist das Thema Digitalisierung geschäftspolitisch relevant (vgl. Füller 2015)." [fett hervorgehoben d.V.)