Petitionsausschuss debattiert zu "Friedhof sowjetischer Zwangsarbeiter" und Bahnwerkstatt - Weiterhin ist der Verbelib von 300 namentlich bekannten NS-Opfern unklar.

Bahnwerkstatt auf LeichenAm 20.01.2023 behandelt der Petitionsausschuss der Bremischen Bürgerschaft die Petitionen S 20-203 wegen "Keine Bahnwerkstatt in Bremen-Oslebshausen" und S 20-205 wegen "Einrichtung einer NS-Zwangsarbeiter:innen Gedenkstätte in Bremen-Oslebshausen". (20.01.2023, ab 15 Uhr, Haus der Bürgerschaft, Raum 2, Am Markt 20, 28195 Bremen, https://rb.gy/bsiqmf)

Beide Petitionen werden zusammen behandelt. Damit bestätigt die Bremer Politik, dass die Fragestellungen zu Bahnwerkstatt und sogenanntem "Russenfriedhof" in einem relevanten Kontext zueinander stehen. Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum appelliert an die Abgeordneten: "Für die Abgeordneten sollte die Frage der Ansiedlung einer Bahnwerkstatt eine Frage des Gewissens sein. Niemand sollte ohne ausreichende Prüfung der Fakten dem Wunsch der Bürgermeisters folgen und auf diesem authentischen Ort von Naziverbrechen eine Ansiedlung ausgerechnet von einer Bahnwerkstatt zustimmen. Dies wäre mehr als geschichtsvergessen. Es würde die Würde der hier Bestatteten und ihrer Angehörigen zutiefst verletzen." Dieter Winge von der Bürgerinitiative Oslebshausen und Umzu ergänzt: "Wie sich die Bremer Politik bislang hierzu in weiten Teilen nicht positioniert und geschwiegen hat, ist beängstigend."

Die Bremer Landesarchäologie hat die Grabungen im November 2022 für beendet erklärt. Es konnten 66 vollständige Tote, über 200 Erkennungsmarken (https://rb.gy/rqxscd) und über 14.000 Knochen und Knochenteile aufgefunden werden. Das Bremer Friedensforum hat zusammen mit der Bürgerinitiative Oslebshausen und Umzu mit ihren Recherchen die aufwendige archäologische Grabung veranlasst. Die Befürchtungen der engagierten Bürger haben sich mit den Ergebnissen bestätigt. Neuere Recherchen belegen, dass weiterhin etwa 300 Leichname von nationalsozialistischen Opfern vermisst werden (Offener Brief an die Bürgerschaftsabgeordneten des Petitionsausschusses und der Kulturdeputation; https://rb.gy/jeesrm). Bislang konnten weder Landesarchiv, Landesarchäologie noch der Bremer Senat eine wissenschaftlich befriedigende Antwort für ihren Verbleib liefern. Weitere Rechercheansätze der engagierten Bürger wurden nicht unterstützt. So wurden u.a. die Nummern der Erkennungsmarken unter Verschluss gehalten.

Angesichts der vorliegenden Fakten werden sich das Bremer Friedensforum und die Bürgerinitiative auch in das anstehende Planfeststellungsverfahren für die Bebauung der Fläche des sogenannten "Russenfriedhofs" einbringen. Dieter Winge sagt: "Noch im Dezember 2021 hat Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz in der Kulturdeputation bestätigt, dass der Fund nur eines vollständigen Skelettes die Situation vollständig ändern würde. Nun wurden 66 Skelette teils in Massengräbern gefunden. Warum erinnern sich die Kulturstaatsrätin und der Bürgermeister nun nicht mehr an ihre klaren und unmissverständlichen Aussagen? Dafür habe ich als Bürger dieser Stadt kein Verständnis." (Zitat von Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz aus der Sitzung der Kulturdeputation vom 02.12.2021: „Es ist vollkommen klar, sollte tatsächlich ein vollständiges Skelett gefunden werden, ist die Lage eine anders zu bewertende. Das wissen wir alle. Das hat auch der Bürgermeister in Veranstaltungen gesagt.“)
Ekkehard Lentz ergänzt: "Wir sehen die Faktenlage so: Es müssten noch etwa 300 namentlich bekannte NS-Opfer gesucht werden. Die Grabungen wurden verfrüht abgebrochen. Zum wiederholten Male wird das Schicksal der an diesem Ort Bestatteten nicht abschließend aufgearbeitet. Ein Deal mit der Ukraine und der Russischen Föderation erscheint unter diesen Umständen sehr fragwürdig."

HINTERGRUND
Für das Gelände in Oslebshausen soll nach den Vorstellungen der Bürgerinitiative Oslebshausen und des Bremer Friedensforums eine Gedenkstätte konzipiert werden. In unmittelbarer Nähe zum wiederentdeckten Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterfriedhof lag die größte Ansammlung von Lagern für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in der Rüstungsstadt Bremen. Der französische Schienenfahrzeughersteller Alstom beabsichtigt mit Unterstützung des Bremer Senats eine Bahnwerkstatt mit Abstellanlage in Bremen-Oslebshausen bis zum Jahr 2024 auf dem Gelände zu errichten. Die Investition ist Teil eines 760 Millionen Euro schweren Auftrags. Alstom ist Rechtsnachfolgerin von mehreren Bahnherstellern wie der Linke-Hofmann-Werke. Einem Unternehmen, dass Zwangsarbeiter u.a. des KZ Groß-Rosen einsetzte. Drei Millionen Juden und mindestens 1,5 Millionen sowjetische Kriegsgefangene wurden während des Zweiten Weltkriegs mit Hilfe der Eisenbahn deportiert.

Im Frühling vergangenen Jahres haben Friedensforum und Bürgerinitiative die Behörden auf den zentralen Friedhof für sowjetische Kriegsopfer aufmerksam gemacht. Die Stadt Bremen hatte die Existenz vergessen. Die Aktivisten konnten bis heute über 400 sowjetische Opfer des Nationalsozialismus, die dort bestattet wurden, namentlich identifizieren. (http://rb.gy/y7g3xq ,http://rb.gy/n51ele ). Der Verbleib der Leichname von 300 nunmehr namentlich bekannten NS-Opfern ist weiterhin unklar. Naheliegend ist, dass sich die Leichname weiterhin auf dem Gelände des sogenannten „Russenfriedhofs“ befinden. Der Bremer Senat um Bürgermeister Andreas Bovenschulte hält dennoch unbeirrt an der Ansiedlung einer Bahnwerkstatt auf dem Areal der Kriegsgräberstätte fest (https://rb.gy/nigulc ).

Grundlage der Nachforschung waren historische Ausarbeitungen von Harry Winkel und Peter-Michael Meiners (https://rb.gy/ofciot ).
Weitere Informationen: Bremer Friedensforum: Graeberfeld - Artikelübersicht Gräberfeld sowjetischer Naziopfer in Bremen-Oslebshausen https://www.bremerfriedensforum.de/graeberfeld/des Bremer

Pressemitteilung des Bremer Friedesnforums vom 17. Januar 2023