von Marc Schlichterle
Ich hatte am vergangenen Donnerstag [13.06.2019] die Gelegenheit Dr. Daniele Ganser gemeinsam mit Jems Lehrich (als Moderator) in Hamburg auf einem eintägigen Workshop zum Thema „Bewusstsein schafft Achtsamkeit“ zu erleben und bin von der Veranstaltung sehr begeistert gewesen. Die Teilnehmerzahl war auf 100 Personen begrenzt, was der Veranstaltung gut tat und auch Gelegenheit bot mit Daniele Ganser im Plenum in den Dialog zu kommen oder auch mal ein Pausengespräch zu führen. Der Mann beeindruckt mich persönlich durch seine Ruhe und Gelassenheit, die er - trotz der vielen Anfeindungen, die er seit seinen Forschungen zu 9/11 und WTC7 immer wieder erlebt hat - ausstrahlt. Auf dem Workshop hat er vermittelt, wie er es schafft, genau diese Gelassenheit zu bewahren. Dabei hilft ihm Achtsamkeit.
Notizen aus dem Workshop „Bewusstsein schafft Achtsamkeit“, m. Dr. Daniele Ganser und Jens Lehrich vom 13.06.2019, in Hamburg.
- Kernaussage aus dem Workshop: Wir sind nicht unsere Gedanken und Gefühle, auch wenn wir oft den Eindruck haben, dass dem so wäre. Um nicht zu Gedanken und Gefühlen „zu werden“ ist es hilfreich, Distanz zu den eigenen Wahrnehmungen herzustellen. Diese Distanz wird möglich durch Achtsamkeit. Achtsamkeit ist eine prüfende Grundhaltung unseres Bewusstseins gegenüber den zunächst als „eigen“ erlebten Gedanken und Gefühlen.
- Hintergründe dieser Kernaussage: Gedanken und Gefühle steigen in unser Bewusstsein auf, sie kommen und gehen. Dabei besteht die Gefahr, dass wir uns mit bestimmten Gedanken und / oder Gefühlen identifi zieren , insbesondere dann, wenn die in uns ausgelösten Emotionen sehr stark sind. Das führt uns dann in so einem Fall zu der Annahme, dass wir unsere Gedanken und Gefühle sind. In diesem Zustand sind wir nur eingeschränkt urteilsfähig und oft emotional und gedanklich verwirrt. Dieser Zustand kann z.B. beim ansehen einer Nachrichtensendung eintreten: Dabei werden uns i.d.R. in kurzer Abfolge Informations-Häppchen dargeboten, die keinen Zusammenhang haben und oft auch gegensätzliche emotionale Zustände in uns auslösen. So wird in einer Nachrichtensendung oft in kurzer Abfolge z.B. über Politik, Boulevard, Börse, Krieg, Naturkatastrophe und Sport berichtet. Ein solcher Mix erschwert uns die Informationsaufnahme und strengt uns durch seine emotionale Achterbahnfahrt an.Im Gegensatz dazu käme niemand auf die Idee dieses Konzept der Information auf den Schulunterricht anzuwenden: Minuten Französisch würden dann nämlich abgelöst von 3 Minuten Mathematik, gefolgt von 3 Minuten Sport und anschließend weiteren 3 Minuten Geografie.
- Ein achtsames Bewusstsein – als zentrierter Beobachter – steht „hinter dem Wasserfall“ des Gedanken- und Gefühle-Stromes und kann entscheiden, welche Gedanken und Gefühle es als zutreff end, passend oder akzeptabel bewertet – oder als unzutreff end, unpassend und inakzeptabel.
Praxis-Beispiel für Achtsamkeit: Wenn wir beleidigt oder verleumdet werden oder davon lesen oder hören, dann ist unsere erste Reaktion meist, dass wir unsere Aufmerksamkeit darauf konzentrieren – wir reagieren betroff en und lassen uns emotional und gedanklich auf die Beleidigung oder die Verleumdung ein. Dadurch vervielfachen wir sie in unserer Wahrnehmung und in ihrer Wirkung auf uns. Das kostet uns Energie und wir fühlen uns schlecht dabei. Statt sich auf diese Weise mit den negativen Gedanken zu identifi zieren , sollten wir versuchen durch prüfende Fragen Distanz zu gewinnen, uns hinter den Wasserfall zu stellen:
- Sind das meine Gedanken, die da geäußert werden?
- Unser achtsames Bewusstsein beim Blick auf den steten Wasserfall unserer Gedanken und Gefühle :)
- Sind es meine Gefühle, die da transportiert werden?
- Muss ich das, was da geäußert wurde, wirklich annehmen und verinnerlichen?
- Aber was tun, wenn man von den negativen Gedanken und Gefühlen übermannt wird und es nicht schafft, die nötige bewusste Distanz herzustellen?
- D. Ganser empfiehlt hier den eigenen Geist / die eigene Wahrnehmung bewusst auf etwas anderes zu lenken um Distanz herzustellen, sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen und sich erst dann wieder mit dem Thema zu befassen. Er selbst nutzt dazu den Blick auf natürliche Symmetrien, z.B. Farnzweige, Schneckenhäuser, Blüten etc.
- Das absichtsvolle Manipulieren von Gedanken und Gefühlen findet man in der Propaganda. Dort wird Information so präsentiert, dass sie uns gedanklich und insbesondere emotional übermannt. So z.B. geschehen bei der so genannten „Brutkastenlüge“: Die junge Tochter eines saudischen Botschafters sprach 1990 unter Tränen vor dem US-Kongress davon, wie irakische Soldaten im besetzten Kuwait frühgeborene Säuglinge aus ihren Brutkästen gerissen und auf den Boden zu Tode geschmettert hätten. Die Abgeordneten im Kongress waren emotional überwältigt und glaubten die Lüge, es war ihnen nicht möglich eine Distanz zu dieser Inszenierung herzustellen um sie prüfen zu können. Heute wissen wir, dass es dieses Szenario nie gab, sondern dass es im Auftrag der Exil-Regierung Kuwaits von der PR-Agentur Hill & Knowlton als Propaganda entwickelt und verbreitet wurde. Ähnliches passierte 2003 als Colin Powell, damals Außenminister der USA, vor der UNO angebliche Beweise dafür präsentierte, dass Saddam Hussein Chemiewaff en besäße, mit denen er die Welt bedrohen würde. Auch diese Lüge wurde wg. der emotionalen Überwältigung von den UNO-Delegierten geglaubt. Heute wissen wir, dass Saddam Hussein keine Chemiewaff en besaß.
- Im Ergebnis waren beide Manipulationen erfolgreich und trugen dazu bei, dass Kriege mit Millionen Toten geführt wurden.
- Aber wie können wir achtsamer für das werden, was wir an Informationen aufnehmen? Hier lohnt ein Vergleich mit der Nahrungsaufnahme, denn Informationen und Nahrung nehmen wir täglich auf. Bei der Nahrungsaufnahme sind wir i.d.R. durchaus achtsam wenn es darum geht, was wir zu uns nehmen (niemand würde freiwillig oder absichtlich unverdaubares oder schädliches essen, es sein denn aus Unwissenheit). Warum nicht auch bei der Information?
- Nahrung können wir leichter selektieren, wir können im Supermarkt auswählen, was wir kaufen und später essen. Nahrung ist materiell, sie ist riechbar, schmeckbar, zählbar.
- Information dagegen strömt permanent auf uns ein und sie ist i.d.R. immateriell: Radio, Fernsehen, Internet, Schlagzeilen am Kiosk, Nachrichten auf dem Handy, etc. Hier ist Achtsamkeit schwieriger zu praktizieren, denn wir haben die Information schon aufgenommen, sobald wir sie wahrgenommen haben. D. Ganser empfi ehlt hier eine „Mediendiät“: Es kann helfen zunächst eine Medienpause einzulegen um herauszufi nden, was einen wirklich interessiert, welche Informationen man wirklich aufnehmen will und was man nicht aufnehmen will. Danach kann man gezielt nach den Medien und den Informationen suchen. Auch hier gibt es eine Analogie zum Essen: Was schmeckt mir? Was tut mir gut? Davon sollte ich nehmen - Was schmeckt mir nicht?
- Was tut mich nicht gut? Das sollte ich liegen lassen. Das Achtsamkeits-Modell: Es stellt die Funktionsweise bildhaft dar. Man kann es sich wie ein Haus mit Erdgeschoss und 2 Stockwerken vorstellen: Wir sind immer in der Lage, aktiv zwischen den Stockwerken zu wechseln. Bewusstsein (2. Stock)
- Hier ist der Ort der Achtsamkeit (= „hinter dem Wasserfall“). Hier können Gedanken und Gefühle von uns geprüft, geordnet und gewichtet werden: Was davon kommt von uns? Was kommt von Dritten?Was wollen wir annehmen und was nicht?Gedanken und Gefühle (1. Stock) Hier nehmen wir wahr und nehmen auf, was auf uns einströmt. Ohne Distanz haben wir das Gefühl, die Gedanken und Gefühle repräsentieren uns vollständig. Auf dieser Ebene sind wir daher auch empfänglich für Wahrnehmungs-Manipulationen und emotionale Verwirrungen.
- Körper (Erdgeschoss) Hier können wir unter den Gedanken und Gefühlen „durchtauchen“. Dazu benötigen wir Ablenkung, z.B. in Form von Konsum oder Drogen, um „abzuschalten.“ Wie kann Achtsamkeit der Friedensbewegung dienen? Nach D. Ganser ist Achtsamkeit eine methodische Hilfe um zunächst für sich selbst zu einem inneren Frieden oder zu einem inneren Gleichgewicht zu fi nden: Achtsamkeit für die eigenen Gedanken und Gefühle trägt dazu bei, besser zu erkennen, was wirklich von uns kommt und was von außen auf uns einströmt und sich uns auch manchmal so aufdrängt, dass wir glauben, es wäre ein Teil von uns (z.B. wenn uns Meinung als objektive Information präsentiert wird (Propaganda). Es fällt dann leichter sich bewusst zum Strom der Wahrnehmung und der Gefühle zu positionieren und so zu einem eigenen Urteil zu kommen.
- Davon ausgehend, dass innerer Friede die Voraussetzung für den äußeren Frieden ist, wählte D. Ganser das Bild des Leuchtturms. Der Leuchtturm ist beständig, er ist sichtbar und gibt durch sein Signal Orientierung bei schlechtem Wetter und schwerer See. Gleichzeitig drängt er sich selbst aber nicht auf als vorgeblicher Besitzer von Wahrheit und einzig richtiger Orientierung. Wenn man dieses Bild in die Praxis übersetzt, könnte man zum Beispiel an die regelmäßigen Mahnwachen der Friedensbewegung denken oder aber z.B. an einen regelmäßigen Infostand oder dergleichen mehr.
- Für das Handeln des Einzelnen könnte es bedeuten, seiner Umwelt in Alltagssituationen Denkanstöße zu geben ohne sich mit Informationen aufzudrängen („Du musst unbedingt diesen Artikel mal lesen!“ - „Hast Du Dir schon das Video von XY angesehen, dass ich Dir letzte Woche geschickt habe?“, usw.) da man sonst Gefahr läuft, selbst zum Manipulierer und Propagandisten zu werden, bzw. als solcher wahrgenommen zu werden.
Notizen aus dem WS m. D. Ganser u. J. Lehrich, 13.06.2019