Die Bremer "Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu" und das Bremer Friedensforum haben am 8. Juli einen Brief an Herrn Außenminister Heiko Maas geschrieben. Darin äußern sie ihre Sorge, dass das Handeln des Bremer Senats (s.u.) zu erheblichen diplomatischen Verwerfungen mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion führen könnte und insofern wahrscheinlich auch zu einer Belastung außenpolitischer Beziehungen führen würde. Wie der Weserkurier heute berichtet, werfen "im Streit um die Bahnwerkstatt ... die Behörden der Bürgerinitiative Oslebshausen "unerträgliche Entgleisungen" vor. Als Konsequenz wurde der für Donnerstag angesetzte Runde Tisch zwischen der Bürgerinitiative, der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau (Grüne) und der der Senatorin für Wissenschaft und Häfen (SPD) kurzfristig abgesagt. (Update 17.07.: Ein ausfürhiches Interview mit Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum in den Nachdenkseiten)
Das Auswärtige Amt hat den Brief der BI und des Bremer Friedensforums am 9. Juli an das für das Gräbergesetz zuständige BMFSFJ weitergeleitet. Es bearbeitet auch Fragen der Fürsorge für sowjetische Kriegsgräber, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern. Das BMFSFJ ist auch der Ansprechpartner Russlands auf Bundesebene für diese Fragen. Außerdem wurden nun auch die Partei- und Fraktionsspitzen der SPD, Grüne, DieLINKE (Esken, Walter-Borjans, Scholz, Baerbock, Habeck, Kellner, Hennig-Wellsow, Wissler und Bartsch) angeschrieben.
Worum geht es? (Auszug aus den versendeten Mails der BI):
"Der Bremer Senat will dem Unternehmen Alstom in Bremen-Oslebshausen eine Fläche für die Ansiedlung einer großen Bahnwerkstatt mit Abstellanlage zur Verfügung stellen. Auf dieser Fläche wurde im Dezember 1941 vom damaligen NS-Bausenator Fischer der sogenannte "Russenfriedhof" angelegt. Es ist belegt, dass an diesem Ort mindestens 766 Leichname bestattet wurden (Quelle: Arolsen Archives. Copy of 2.1.1.2 / 70567845, Protokoll des 19. Polizei-Reviers vom 9. Mai 1946). Wahrscheinlich sind es sogar wesentlich mehr, war doch Bremen damals einer der wichtigsten Orte in der Rüstungsproduktion Nazi-Deutschlands.
In der Nachkriegszeit wurden jedoch nur 446 anonyme Leichname exhumiert und umgebettet. Die Landesarchäologin Prof. Dr. Uta Halle und der Landesarchivar Prof. Dr. Konrad Elmshäuser gehen aktuell von mindestens 280 im Erdreich verbliebenen Leichnamen aus. Aktuell werden völkerrechtswidrige archäologische Grabungen auf Anordnung des Bremer Senats vorbereitet. Eine ebenfalls völkerrechtswidrige Exhumierung und anschließende Umbettung wird ebenfalls aktuell geplant.
Prof. Dr. Robert Heinsch war so freundlich und hat uns seine völkerrechtliche Einschätzung zu diesem Sachverhalt gegeben (kann bei der BI angefordert werden). Prof. Dr. Robert Heinsch wird Ihnen bestens bekannt sein. Er ist einer der weltweit führenden Kapazitäten im humanitären Völkerrecht. Seine Einschätzung ist demnach, wie folgt, zusammenzufassen: "Die Errichtung einer Bahnwerkstatt auf dem Areal einer Kriegsgräberstätte, wo Verstorbene ihren letzten Ruheort gefunden habe, ist also nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar, wenn deren sterblichen Überreste nie exhumiert und umgebettet worden sind."
Aber auch moralisch ist das Vorgehen bedenklich und zeugt von einer ausgeprägten Geschichtsvergessenheit. Ziel der Grabungen und Umbettungen ist die Ansiedlung einer Bahnwerkstatt durch das Unternehmen Alstom. Angesichts der Shoa und der mörderischen Barbarei während des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetunion verbietet sich die Ansiedlung ausgerechnet einer Bahnwerkstatt an diesem Ort. Hat doch die Bahn erst die Logistik für das massenhafte industrielle Morden ermöglicht. Das Unternehmen Alstom selbst ist dazu noch die Rechtsnachfolgerin von kriegsverbrecherischen Bahnherstellern wie der Linke-Hofmann-Werke, einem Unternehmen, dass Zwangsarbeiter u.a. des KZ Groß-Rosen einsetzte. Die von diesem Unternehmen produzierten Vieh- und Güterwaggons haben sich wie die Verbrennungsöfen und Gaskammern als Symbol für Shoa und Schreckensherrschaft der Nazis in das kollektive Gedächtnis eingeprägt.
Das ganze Vorhaben ist beschämend, geschichtsvergessen, pietät- und würdelos. Es ist für uns unerträglich, dass im Jahr 2021, achtzig Jahre nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, noch immer mit den NS-Opfern der Sowjetunion in dieser Form umgegangen wird. Offenbar hat das von den Nazis geprägte Stigma der "Untermenschen" bis heute Bestand und führt dazu, dass sogar im Tode noch unwürdig mit diesen armen Opfern umgegangen werden kann. Ein vergleichbares Verhalten mit den sterblichen Überresten US-amerikanischer, französischer oder britischer Opfer des Zweiten Weltkriegs würde es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben. Dass jedoch eine demokratisch legitimierte Landesregierung ein solches Vorhaben verfolgt, macht uns fassungslos.
Wir haben den Bremer Senat daher dringend aufgefordert, von dem Vorhaben abzulassen und ihn gebeten, sich mit der Deutschen Bahn ins Benehmen zu setzen, um für die Ansiedlung eine bestehende Bahnbrache in unmittelbarer Nähe des Bremer Hauptbahnhofs zu nutzen. Dies wäre auch nach Ansicht von Fachleuten bahnbetrieblich, ökologisch und ökonomisch ohnehin die viel bessere Lösung. Eine vorgebliche Weigerung der Deutschen Bahn, diese Fläche bereitzustellen, sollte leicht überwindbar sein. Weiterhin fordern wir vom Bremer Senat die Einrichtung einer Mahn- und Gedenkstätte am Ort dieser Kriegsgräberstätte. Unsere Forderungen haben wir mit entsprechenden Petitionen zwischenzeitlich auch an die Bremische Bürgerschaft gerichtet."
Nachdem zunächst regional berichtet wurde, veröffentlichte der Spiegel am 28.06. den Artikel "Sowjetische Kriegsopfer in Deutschland - Die Gräber der Namenlosen": https://www.spiegel.de/geschichte/sowjetische-kriegsopfer-in-deutschland-die-graeber-der-namenlosen-a-1691fc18-ba41-404c-b6c9-91a42ad2c646 Im März berichtete bereits "Zeit online": https://www.zeit.de/news/2021-03/06/suche-nach-alten-graebern-auf-flaeche-fuer-neue-bahnwerkstatt Auch die New York Times zeigt sich an dem Fall interessiert.
Unterstützt die "Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu". Zeichnet die drei Petitionen im Petitionssystem der Bremischen Bürgerschaft bis 16. Juli mit.
"Einrichtung einer NS-Zwangsarbeiter:innen-Gedenkstätte in Bremen-Oslebshausen" https://petition.bremische-buergerschaft.de/index.php?n=petitionsdetails&s=1&c=date_public&d=DESC&b=0&l=10&searchstring=&pID=3595
"Keine Bahnwerkstatt in Bremen-Oslebshausen" https://petition.bremische-buergerschaft.de/index.php?n=petitionsdetails&s=1&c=date_public&d=DESC&b=0&l=10&searchstring=&pID=3594
"Schaffung einer „Grünen Pufferzone“ in Oslebshausen" https://petition.bremische-buergerschaft.de/index.php?n=petitionsdetails&s=1&c=date_public&d=DESC&b=0&l=10&searchstring=&pID=3596