Gräberfeld sowjetischer Naziopfer „Russenfriedhof“. Friedensforum und Bürgerinitiative legen weiteres Rechtsgutachten vor.
Bremen. Ein Rechtsgutachten der Universität Gießen bestätigt die Vorbehalte des Bremer Friedensforums und der Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu: Eine Bebauung der Kriegsgräbergedenkstätte mit einer Bahnwerkstatt an der Reitbrake dürfte völkerrechtswidrig sein. Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum meint: „Die Universität Gießen bestätigt unsere Befürchtungen. Der Bremer Senat wäre gut beraten, die bisherige Strategie zu überdenken. Er sollte sich endlich um die Alternative kümmern, die seit über einem Jahr auf dem Tisch liegt.“
„Bürgermeister Bovenschulte und Staatsrätin Emigholz haben immer wieder betont, dass man im Falle des Fundes eines vollständigen Skeletts [update: inzwischen wurden mehrere gefunden] von einer Bebauung absehen würde. Dies wäre Ausdruck menschlichen Respekts gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Allerdings wurde die Zeit vertrödelt, um sich um einen alternativen Standort zu kümmern. Nun will man die Abgeordneten trotz schwerwiegender rechtlicher Bedenken davon überzeugen, einer gewiss völkerrechtswidrigen Bebauung zuzustimmen. Das dürfen sich die Abgeordneten nicht gefallen lassen.“ ergänzt Dieter Winge von der Bürgerinitiative. (Foto: © Sönke Hundt)
„Der Bremer Senat ist offenbar befangen. Wir fordern daher nochmals die unverzügliche Einrichtung einer unabhängigen Kommission von Historikern, Völkerrechtlern und Ethikern. Diese soll der Bremischen Bürgerschaft eine verbindliche Empfehlung zum Umgang mit der Kriegsgräberstätte in Bremen-Oslebshausen geben.“ fordert Ekkehard Lentz.
Das Gutachten des „Franz von Liszt-Instituts für internationales Recht und Rechtsvergleichung der Universität Gießen“ kommt zu der Auffassung, dass das geplante Vorhaben einer Bahnwerkstatt nicht mit dem Völkergewohnheitsrecht und damit dem deutschen Recht vereinbar ist. So wäre die Einrichtung einer Bahnwerkstatt nicht mit der Würde des Ortes vereinbar und würde dem Zweck der Ruhestätte zuwiderlaufen. Auch sollte die Fläche über der Kriegsgräberstätte frei von Bauten jeglicher Art gehalten werden. Das Gutachten befasst sich intensiv mit den bereits vollständig verwesten Leichnamen und Leichenteilen, die nach einer Liegezeit von achtzig Jahren nicht mehr auffindbar sein werden. Dieser Aspekt dürfte noch relevant werden. Spätestens, sobald die Landesarchäologie behaupten sollte, dass das gesamte Areal von 20.000 Quadratmetern frei von sterblichen Überresten der hier verscharrten Kriegsgefangenen sei.
Auch wird darauf hingewiesen, dass nach deutschem Recht eine Exhumierung und Umbettung nur erfolgen kann, wenn die zuständige Landesbehörde gemäß § 6 Abs. 1 GräbG anhand eines feststehenden engen Kriterienkatalogs zugestimmt hat. Die erforderliche Genehmigung hält die Senatskanzlei unter Verschluss. Das Informationsbegehren, das Ekkehard Lentz für das Bremer Friedensforum nach dem Bremer Informationsfreiheitsgesetz angestrengt hat, wird seit dem Juli letzten Jahres von den Behörden verschleppt.
Das Rechtsgutachten wurde als Working Paper am Institut von Prof. Thilo Marauhn erarbeitet. Prof. Marauhn ist einer der weltweit führenden Fachleute für Völkerrecht. Seit 2017 ist er Präsident der Internationalen humanitären Ermittlungskommission, einem völkerrechtlichen Organ auf Grundlage der Genfer Konventionen mit Sitz in Bern (www.ihffc.org). Das Rechtsgutachten ist bereits die zweite völkerrechtliche Einordnung, die das Bremer Friedensforum und die Bürgerinitiative vorlegen. Bereits letztes Jahr wurde das Gutachten aus dem Hause des ebenfalls weltweit renommierten Völkerrechtlers Prof. Robert Heinsch von der Universität Leiden vorgelegt. Auch dieses Gutachten zeigt die völkerrechtliche Problematik auf, in die sich die Stadt Bremen mit einer Bebauung der Kriegsgräberstätte begeben würde.
Kernaussage des Gutachtens der Universität Leiden ist: „Die Errichtung einer Bahnwerkstatt auf dem Areal einer Kriegsgräberstätte, wo Verstorbene ihren letzten Ruheort gefunden habe, ist also nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar, wenn deren sterblichen Überreste nie exhumiert und umgebettet worden sind.“
INTERNATIONAL HUMANITARIAN LAW CLINIC
Neun Studierende des Völkerrechts haben unter der Anleitung von Barry de Vries eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zu den relevanten Rechtsaspekten konkret zur geplanten Bebauung der Kriegsgräberstätte in Bremen-Oslebshausen verfasst. Das Team gehört zur „International Humanitarian Law Clinic“ der Universität Gießen. Die International Humanitarian Law Clinic arbeitet direkt mit internationalen Gerichten, Militärs, Nichtregierungsorganisationen und anderen Einrichtungen zusammen, um den Schutz in Kriegszeiten zu verbessern und die Rechenschaftspflicht für Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sicherzustellen. Die Studierenden der International Humanitarian Law Clinic arbeiten dafür an vorderster Front. Sie erforschen, wie Täter zur Rechenschaft gezogen werden können, arbeiten an Fällen von Inhaftierten und anderen Vergehen gegen das Völkerrecht. Die Arbeiten der International Humanitarian Law Clinic werden jeweils einem akribischen Review unterzogen. In diesem Fall hat Prof. Thilo Marauhn die Arbeit persönlich freigegeben.
HINTERGRUND
Für das Gelände in Oslebshausen soll nach den Vorstellungen der Bürgerinitiative Oslebshausen und des Bremer Friedensforums eine Gedenkstätte konzipiert werden. In unmittelbarer Nähe zum wiederentdeckten Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterfriedhof lag die größte Ansammlung von Lagern für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in der Rüstungsstadt Bremen.
Der französische Schienenfahrzeughersteller Alstom beabsichtigt mit Unterstützung des Bremer Senats eine Bahnwerkstatt mit Abstellanlage in Bremen-Oslebshausen bis zum Jahr 2024 auf dem Gelände zu errichten. Die Investition ist Teil eines 760 Millionen Euro schweren Auftrags. Alstom ist Rechtsnachfolgerin von mehreren kriegsverbrecherischen Bahnherstellern wie der Linke-Hofmann-Werke. Einem Unternehmen, dass Zwangsarbeiter u.a. des KZ Groß-Rosen einsetzte. Die von diesem Unternehmen produzierten Vieh- und Güterwaggons haben sich wie die Verbrennungsöfen und Gaskammern als Symbol für Shoa und Schreckensherrschaft der Nazis in das kollektive Gedächtnis eingeprägt. Museen in acht Ländern stellen 35 Güterwaggons als Symbol für die Beteiligung der deutschen Eisenbahnen am Judenmord aus. Drei Millionen Juden und mindestens 1,5 Millionen sowjetische Kriegsgefangene wurden während des Zweiten Weltkriegs mit Hilfe der Eisenbahn deportiert.
Im Frühling vergangenen Jahres haben Friedensforum und Bürgerinitiative die Behörden auf den zentralen Friedhof für sowjetische Kriegsopfer aufmerksam gemacht. Die Stadt Bremen hatte die Existenz vergessen und zunächst geleugnet. Die Aktivisten konnten bis heute über 400 sowjetische Opfer des Nationalsozialismus, die dort bestattet wurden, namentlich identifizieren. (rb.gy/y7g3xq , rb.gy/n51ele). Der Bremer Senat um Bürgermeister Andreas Bovenschulte hält unbeirrt an der Ansiedlung einer Bahnwerkstatt auf dem Areal der Kriegsgräberstätte fest. Wirtschaftliche Interessen sind der rot-grün-roten Regierung Bremens wichtiger als ein angemessener und geschichtsbewusster Umgang mit der Kriegsgräberstätte.
Grundlage der Nachforschung waren historische Ausarbeitungen von Harry Winkel und Peter-Michael Meiners (rb.gy/ofciot).
Bremen, 12. Jan 2022
Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu. Pressekontakt: Dieter Winge
Bremer Friedensforum. Pressekontakt: Ekkehard Lentz