Eltern starteten eine Kampagne „Kitanotstand Bremen“ und demonstrierten am 20. Februar 2020 vor der Bremischen Bürgerschaft. Und 11 Wochen vor dieser Kundgebung, "...im Dezember [2019] erreichte die Bremer Senatorin für Kinder und Bildung, Claudia Bogedan, ein Brandbrief von verzweifelten Eltern aus 16 Einrichtungen von Kita Bremen, einem Eigenbetrieb der Stadt. Darin fordern sie deutlich mehr Personal, um den regulären Betrieb gewährleisten zu können." Während der Wintergrippe müssen regelmäßig in Bremer Kitas wegen hoher Krankenstände und fehlendem Reservepersonal Angebote reduziert werden, Eltern können ihre Kinder von heut auf morgen nicht (oder nur eingeschränkt) in die Bildungseinrichtung Kindertagesstätte geben. Die Zentralelternvertretung KiTas schrieb einen Offenen Brief an Bogedan. "Kita Bremen" beklagte, dass ausgeschriebene 70 Erzieherstellen nicht besetzt werden konnten , nachdem das Rot/Grüne Bremen 13 Jahre lang nicht für ausreichende und attraktive Ausbildungsplätze für ErzieherInnen und SozialpädagogInnen gesorgt hatte.
Ver.di hatte in den "KiTa-Streiks 2015" die Aufwertung der ErzieherInnenberufe, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen eingefordert und vor genau dem Szenario gewarnt, das nun eintrat.
Und dann kam "Corona" obendrauf. Auf diesen Ausnahmezustand oben drauf verordnete die Bundesregierung und die Bremer Landesregierung dann den Corona-Lockdown. Kinder (Ausnahme "Systemrelevante") wurden zurückgeworfen auf ihr jeweiliges Zuhause, in vielen Fällen auf die ohnehin vorher schon unter Doppelbelastung leidenden Mütter, ohne jede Kompensation. Für viele Einelternhaushalte und Familien in beengten Wohnverhältnissen unter Armutsbedingungen ein Katastrophe.
Die längst überfällige (Pandemie gerechte) Wiederöffnung der KiTas bräuchte nun allerdings ausreichend Personal und gute räumliche Bedingungen - aber woher auf die Schnelle nehmen ? Das Bremer KiTa-System bewegte sich schon vor "Corona" unterhalb des vertretbaren Limits. Ursprünglich strebte die rot/rot/grüne Bremer Landesregierung auch nach dem 15. Juni eine "Lösung" dergestalt an, dass nur ca. 50% der der Bremer KiTa-Kinder ("systemrelevante Berufsgruppen" und einige besondere Förderbedarfe) einen Platz garantiert bekommen sollten. Das wollten Eltern in Bremen aber so nicht mit sich machen lassen.
Protest der Eltern
Die nun 2,5 Monate "gelockdownten" Eltern und Kinder ohne KiTa-Platz antworteten mit einem Sturm der Entrüstung. Mehrere kinder- und jugendmedizinische Fachgesellschaften sprachen sich dafür aus, Kitas und zumindest Grundschulen „zeitnah“ wieder vollständig zu öffnen. Die Vorsitzende der Zentralelternvertretung (ZEV) der Tageseinrichtungen für Kinder in Bremen, Petra Katzorke, sah die Prioritätensetzung des Senats kritisch (WK 28.05.2020) „Wir sind verwundert, dass man 20-Personen-Veranstaltungen erlaubt, bei denen das Infektionsrisiko hoch ist, aber es für die Kitas keinen Fahrplan gibt, wie sich Kinder und Erzieher genau verhalten sollen.“ Einige Eltern hatten in einem offenen Brief an Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) und Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) ein detailliertes Konzept zur Wiedereröffnung der Kitas gefordert. Nach zweieinhalb Monaten Zwangsschließung verstünden sie nicht, dass Zusammenkünfte mit 20 Personen in geschlossenen Räumen wieder erlaubt seien, die Kinder aber weiter unter den Restriktionen leiden müssten.
Die Landesregierung ruderte nun zurück, nachdem neben Ländern wie Norwegen und Dänemark (ab Mitte April!) auch aus deutschen Bundesländern KiTa-Wiederöffnungen umgesetzt wurden und derweil die Fachwelt der Virologen über die Einschätzung der Kinder als "Virenschleudern" stritt. (Prof. Kekulé erklärt im 2. Teil dieser MDR Sendung vom 26.05.2020 die Kritik an Drostens Studie)
Angeblich können nun doch alle Kinder in die KiTa, aber ...
Die Landesregierung präsentierte nun Ende Mai das "Konzept" der "eingeschränkten Öffnung" für alle ab 15. Juni (WK 29.05.). Nun bekamen aber die Eltern in Sozial- und Gesundheitsberufen (u.a.) Angst, dass die ihnen bisher garantierten vollständigen Betreuungszeiten für ihre Kinder wieder entzogen werden könnten. Aus der über Jahre staatlich herbeigeführten Mangelsituation entwickelt sich gerade ein "Hauen um Stechen" um eigentlich selbstverständliche, elementare Daseinsvosorge. Da die Personalnot weiterhin fortbesteht und die Rahmenbedingungen wegen der Pandemievorsorge noch deutlich erschwert sind, läuft die "Lösung" nun darauf hinaus, allen ein bisschen anzubieten, also z.T. deutlich verminderte Betreuungsansprüche (weniger Stunden u.o. Tage). Siehe die Details im WK 07.06.2020 und im WK 09.06.2020.
Die Not der berufstätigen Eltern bleibt und - nicht zu vergessen - die Rechte der Kinder auf altersgerechte Entwicklungsmöglichkeiten können nicht einfach ignoriert werden, weil sie keine so starke Lobby in der Politik haben wie die Rüstungskonzerne und die Lufthansa, deren Aktionäre gerade mit Milliarden "gerettet" wurden. Und: Auch diejenigen Kinder haben Entwicklungs- und Förderrechte, deren Eltern gerade keine zwingenden Berufsverpflichtungen haben und nach drei Monaten Lockdown "am Stock gehen". Die von der Zentralelternvertretung Kita Bremen bis 5. Juni durchgeführte repräsentative Erhebung weist auf die vielfältigen, unterschiedlichen Bedarfe und Interessen hin.
Fazit: Kein Ende des seit Jahren sich auftürmenden KiTA-Desasters in Sicht. Die Wehrlosesten in unserer Gesellschaft, unsere Zukunft, die Kinder (und ihre Eltern, meist Mütter), sind die Leidtragenden. Ein Armutszeugnis für eine seit einem Jahr rot/rot/grüne Landesregierung, die mit den wachsenden Bedarfen so nicht mithalten kann und regelmäßig dabei landet, alle möglichen Notlösungen zu "zaubern", z.B. "Quereinsteiger" statt ausreichend ausgebildetem Personal einzustellen, oder die KiTas gleich ganz zu privatisieren (s.u.)
Zu den Folgen des Schuldenbremse-Dogmas
Mit Billigung der Partei "DIE.LINKE" setzt die Bremer Landesregierung den rot/grünen Kurs fort, vor dem Hintergrund des riesigen Bedarfs an KiTa-Plätzen, den Besitz, den Bau und den Betrieb von KiTas an private Investoren zu übergeben. "Von 31 Krippen und Kindergärten, die seit Mitte 2016 in Bremen entstanden seien, sei etwa die Hälfte von Investoren gebaut worden und die andere Hälfte von der Stadt, sagt Annette Kemp, Sprecherin der Bildungsbehörde. Weitere 55 neue Kitas sind der Behörde zufolge in Bremen insgesamt bereits in Planung oder im Bau. Und auch von diesen Einrichtungen werde etwa jede zweite von einem privaten Investor gebaut." (...) "Ohne von privaten Bauherren errichtete Kitas müsste Bremen noch viel mehr Baustellen gleichzeitig vorantreiben – und auch so schon kam Immobilien Bremen in der Vergangenheit kaum hinterher. Ein möglicher Nachteil für die Stadt ist dagegen: Wenn Bremen auf Kitas von privaten Eigentümern setzt, muss die Stadt dauerhaft Miete zahlen: „Das ist auf lange Sicht finanziell nicht ganz so günstig“, sagt Kemp. In den einzelnen Jahren sei es für Bremen aber vorteilhaft, dass nur Mietkosten und nicht auf einen Schlag hohe Baukosten anfallen und den knappen Bremer Haushalt noch mehr belasten." (Weserkurier 18.02.2020)
Justus Grosse darf dabei natürlich nicht fehlen, aber auch die "Rhein Group" und die "Kidinvest" und einige andere. Investoren lecken sich die Finger nach solchen sicheren, stabilen und Rendite garantierenden Investitionsobjekten. Kinder- und Elterninteressen dienen dabei nur dazu, den stetigen Geldstrom aus öffentlichen Kassen in ihr renditeorientiertes Investment sicherzustellen. Das Tempo, mit dem in rot/rot/grünen Landesregierungen Privatisierungen der Daseinsvorsorge und der öffentlichen Infrastruktur vorangetrieben werden, ist erschütternd. In Bremen schwappt diese Privatisierungs-Denke nun auch über zu den dringend benötigten Schulneubauten.Siehe mehr unter diesem LINK.
Statistischer Anhang:
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat am 1. Mai in Zusammenarbeit mit der Fachstelle für Jugendhilfestatistik an der TU Dortmund (AKJStat) ein Berechnungsinstrument veröffentlicht, welches Politik und Träger bei der stufenweisen Öffnung der Kitas unterstützen soll. ver.di kritisiert daran einige Grundannahmen, weil die realen Personal- und Raumkapazitäten noch viel unzureichender sind als in dem Papier unterstellt. Interessant sind dabei die bremischen Zahlen zu KiTa-Kindern, wie in der beiligenden Tabelle zu sehen, sowie des unzureichenden KiTa-Personals, sowie zu der prekären räumlichen Kapazitäten. Deutlich wird die im bundesweiten Vergleich extrem hohe Kinderarmut in Bremen (fast ein Drittel der KiTa-Kinder) und die besonders hohen sprachlichen Förderbedarfe als Folge eines hohen Anteils von Kindern aus Familien mit Migrantionshintergrund. Diese Zahlen liegen auch deutlich höher als in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg. In der selbst erstellten nebenstehenden Tabelle sind Bremische Zahlen extrapoliert. Zudem leben 11,3 % der KiTa-Kinder in Bremen in Einelternhaushalten, wobei die Gesamtzahl der Kinder in Einelternhaushalten noch viel höher liegt, bei ca. 24% . Über die Hälfte der Kinder in diesen Einelternhaushalten werden gezwungen unter Armutsbedingungen zu leben (56% SGB II Quote bei Alleinerziehenden in Bremen). Die Arbeitnehmerkammer hat dazu eine sehr gute Studien gemacht. Rene Böhme (Sozialwissenschaftler und Armutsforscher am Institut für Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen) kommt zusammen mit dem Initiativkreises Bremer Armutskonferenz zu ähnlicher Kritik an der wachsenden Aufspaltung Bremens, im Interview sagt er: "...zu dieser extrem hohen Selektivität im Bildungssystem mit Homeschooling [kommt] noch das sozial Selektivste dazu, was man machen kann: den weiteren Bildungsprozess dem elterlichen Haushalt überlassen."
Exkurs: Die Epidemie rot/rot/grüner Privatisierung der Daseinsvorsorge und der öffentlichen Infrastruktur
Um den "Koalitionsfrieden nicht zu gefährden" hat kürzlich die Berliner Linksfraktion den Beschluss des Berliner Senats "mit Bauchschmerzen" gebilligt, zwei Drittel des Netzes der S-Bahn "auszuschreiben". Nach den Plänen der federführenden Berliner Verkehrssenatorin Regina Günther (Grüne) könnten in Zukunft mehrere Unternehmen im Schienennahverkehr der Metropolregion nebeneinander und absehbar gegeneinander agieren. Damit wären die Tage der S-Bahn in staatlicher und aus einer Hand gezählt. Das Votum des Linken-Landesparteitages vom 23. November 2019 „Wir wollen einen S-Bahn-Betrieb aus einer Hand und lehnen entsprechend eine Zerschlagung der S-Bahn ab“ wird mal eben entsorgt. Dagegen formiert sich breiter Widerstand: https://www.gemeingut.org/gib-infobrief-jetzt-aktiv-werden-gegen-die-zerschlagung-und-privatisierung-der-s-bahn-berlin/
Es wäre weitaus klüger, neoliberales Denken zu entsorgen, die Interessen der Wählerinnen ins Zentrum zu stellen und folgende Lösung anszustreben: Die DB AG bleibt wie schon bisher auch künftig alleiniger Betreiber. Seit 2017 erledigt dies eine ihrer Töchter – die S-Bahn Berlin GmbH – auf Grundlage von Übergangsverträgen bis Ende 2027 beziehungsweise Frühjahr 2028. - Machen jedoch bei der für Sommer angekündigten europaweiten Ausschreibung der Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn andere das Rennen, wird die Deutsche Bahn in sieben Jahren nur mehr für die Ringbahn zuständig sein. Weitere Details dazu finden sich in den Nachdenkseiten in einem Beitrag vom 5. Juni von Ralf Wurzbacher.
(von Rodolfo Bohnenberger)