Gegen den Koalitionsvertrag

kopf in den sand Ente linkeDer langjährige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN in Bremen, Peter Erlanson, lehnt den Koalitionsvertrag ab. Die Schuldenbremse müsse weg. Sie zu akzeptieren und so mitzuregieren, das konnte er nicht mehr mittragen und trat nicht mehr als Kandidat für die Bürgerschaftswahl an. Er plädiert (in der Bremen TAZ vom 4. Juli) für die Ablehnung des seit 1.7. vorliegenden Koalitionsvertrages. Hier einige seiner Kernaussagen:

"Der Koalitionsvertrag ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe." ... " Nirgends steht, was etwas kostet. Hermann Kuhn von den Grünen hat schon zugegeben: Die Haushaltsberatungen [im Herbst] werden eine Art zweite Koalitionsverhandlung. Dort wird erst festgelegt, was wirklich Priorität kriegt und was unter den Rasenmäher kommt.

"In unserem Wahlprogramm hatte klar gestanden, dass die Schuldenbremse weg muss – laut Koalitionsvertrag wollen wir jetzt aber an ihr festhalten. Außerdem müsste man Einnahmen organisieren, die Reichen zur Kasse bitten, aber auch dazu hat man nicht den Mut."

"Normalerweise würde man einfach bei der Landeshauptkasse einen Kredit aufnehmen, das bauen und im Laufe der Jahre abstottern. Das darf man jetzt aber nicht. Schuld ist die Schuldenbremse, der Staat darf keine Kredite mehr für investive Mittel aufnehmen. Das ist ein Problem für Kitas, für Schulen, und eben auch für Kliniken."

"Es schmerzt mich, wenn ich als Linker sehe, dass meine Linke in eine Koalition gehen will, die neoliberale Politik mitträgt."

 

Nicht minder entsetzt über den Koalitionsvertrag ist Bijan Tavassoli (LINKER aus Hamburg). Er veröffentlichte gleich am Montag, wenige Stunden nach Erscheinen des Koalitionsvertrages (01.07.2019) auf Facebook unter dem provokanten Titel "Koalition der Heuchler" folgende Erklärung:

"Nur wenige Stunden bevor die Delegierten auf dem Landesparteitag der Bremer Linken über ihn abstimmen sollen ist der 142 Seiten umfassende Koalitionsvertrag veröffentlicht worden. - Nach kurzem Überfliegen fallen einige Dinge direkt ins Auge.

  • So hat die Führung der Bremer Linken offenbar gegen den Willen ihrer Mitglieder und der Beschlusslage der Bundespartei, die Schuldenbremse komplett akzeptiert. Alles was an (teils positiven) Dingen im Koalitionsvertrag steht, steht unter Finanzierungsvorbehalt[1] und Bremen verliert die einzige politische Kraft, die sich gegen das Spardiktat einsetzt.
  • Die Bekämpfung der Kinderarmut steht dabei an 10. und letzter Stelle der Prioritätenliste[2].
  • Ein Bekenntnis gegen Privatisierungen sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich. Stattdessen wird die Möglichkeit der Privatisierung von Schulen explizit offen gehalten[3].
  • In einem Bereich muss allerdings nicht gespart werden, so hat sich die Koalition geeinigt, mehr Posten zu schaffen um den Proporz zwischen den Parteien zu wahren. Dabei sollen über die Legislatur mehrere Millionen Euro an fünf Linken-Mitglieder fließen, zwei Senatoren sowie drei Staatssekretäre.
  • Das kann dann vielleicht über die Bauchschmerzen hinweghelfen, die mit den Vereinbarungen zum Thema Asyl und Flucht verbunden sind. Hier will die Linke, erstmals im Westen, aktiv abschieben[4] und auch minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sollen im Regelverfahren abgeschoben werden, falls sie ihr Alter nicht zur Zufriedenheit eines Mediziners nachweisen können[5].
  • Statt Hartz IV grundsätzlich in Frage zu stellen oder zumindest die Sanktionen abzuschaffen wie es der Beschlusslage der Linkspartei entsprechen würde, will die Bremer Linke weiter an Sanktionen festhalten, auch für unter 25-Jährige[6].
  • Ökologie scheint in Bremen auch ein Fremdwort zu sein. Die Bremer Linke ermöglicht die ökologisch beispiellose Vernichtung einzigartiger Habitate und Kreisläufe, indem sie der Weservertiefung zustimmt[7], und erhöht die Belastung mit Feinstaub sowie Schwefeloxiden und anderen schädlichen Gasen durch ihre Zustimmung zu einem Kreuzfahrtterminal[8].
  • Damit nicht genug, unter Linker Regierungsbeteiligung sollen weiter tonnenweise Waffen und Munition über die Bremer Häfen in die ganze Welt exportiert werden und somit die Konflikte angefacht werden, die zu massenweiser Flucht und Tod führen[9]. Nicht mal einen Stopp der Waffen-Exporte in Krisenregionen sondern gerade mal einen Prüfauftrag, ob ein solcher Stopp mit der Eigenschaft als Universalhafen kompatibel wäre, sieht der Koalitionsvertrag vor.

Einem solchen Koalitionsvertrag darf die Linke nicht zustimmen, es wäre ein grundlegender Verrat an (fast) allen ihren Werten ohne wesentliche Verbesserungen für die Gesellschaft. Das letzte Wort über diesen von der Führung ausgehandelten Vertrag liegt bei den Delegierten des Parteitages am Donnerstag, 4. Juli, und ggf. den Mitgliedern der Bremer Linken. Diese werden in den kommenden Tagen mit allen Mitteln der Kunst unter Druck gesetzt werden, dem Koalitionsvertrag ihre Zustimmung zu geben. "Das wäre doch unsolidarisch gegenüber dem oder dem", "Wie soll das denn in der Presse aussehen", und "Du suchst doch einen neuen Job, wir brauchen gute Leute in meiner Behörde".


[1] Finanzrahmen
Wir verpflichten uns, ab dem Jahr 2020 unsere Haushalte grundsätzlich ohne neue Kreditaufnahme aufzustellen, so wie es das Grundgesetz und unser Landesrecht in der Verfassung und im Ausführungsgesetz zur Schuldenbremse vorschreiben.(...) Hierfür müssen wir mindestens 50 Mio. Euro pro Jahr und zusätzlich 150 Mio. € in fünf Jahren tilgen. Im Haushaltsansatz planen wir deshalb mit einer Tilgung von 80 Mio. € pro Jahr. (...) (S. 137)

[2]Aus diesem Grund sind folgende Politikfelder prioritär in der schrittweisen Finanzierung unserer politischen Ziele und Vereinbarungen:
1. (...)
2. (...)
3. (...)
4. (...)
5. (...)
6. (...)
7. (...)
8. (...)
9. (...)
10. Bekämpfung der Kinderarmut, (...) (S. 137)

[3] Bei Neubauten ‐ insbesondere beim Schul‐ und Kitabau ‐ werden wir Wege zur schnelleren Umsetzung und der Finanzierung zeitnah klären. (S. 138)
[4] Das Land Bremen wird seinen rechtlich zwingenden Verpflichtungen zur Aufenthaltsbeendigung nachkommen. Wir setzen dabei weiter zuerst auf das Instrument der freiwilligen Ausreise mit einer ergebnisoffenen Rückkehrberatung und betrachten Abschiebungen nur als Ultima Ratio. Die unterschiedliche Handhabungspraxis der Ausländerbehörden im Land Bremen werden wir durch eignete organisatorische Maßnahmen beenden. Für die Gruppe der „Papierlosen“, die bestimmte Kriterien erfüllen, werden wir eine stichtagsgebundene Altfallregelung treffen. Die Ausländerbehörden sollen Betroffene von Abschiebeandrohungen auf die Möglichkeit der Anrufung der Härtefallkommission hinweisen, dies gilt auch für sogenannte Dublin‐Fälle. (S. 124)
[5] Unbegleitete minderjährige Geflüchtete
Um die Kinderrechte zu wahren wollen wir Ermessensspielräume bei der Altersfeststellung und anderen Verwaltungsverfahren in Zweifelsfällen zugunsten der Jugendlichen nutzen. (S.52)
[6] Ein wichtiger Punkt dabei ist es, die Zahl der Sanktionen zu senken, insbesondere im Bereich der jungen Erwachsenen unter 25 Jahren und der Bedarfsgemeinschaften mit Kindern. (S. 44)
[7] Weservertiefung
Mit einer Vertiefung der Weser sind sowohl für die Außenweser als auch für die Unterweser negative ökologische Auswirkungen zu erwarten.
Wir sehen die Vertiefung der Außenweser aus ökologischen Gründen kritisch, erkennen aber an, dass es deutlich andere wirtschaftliche Aspekte gibt, als bei einer Vertiefung der Unterweser südlich von Bremerhaven. Daher wird Bremen sein Einvernehmen für die Vertiefung der Außenweser geben. (S. 81)
[8] Kreuzfahrtterminal
Wir sind uns bewusst, dass derzeit Kreuzfahrtschiffe eine Belastung für das Ökosystem der Meere darstellen. Unser Ziel ist ein moderner, hoch leistungsfähiger Kreuzfahrtterminal, der unter Berücksichtigung modernster und ökologischer Anforderungen mehrere Schiffe inklusive der vor‐ und nachgelagerten Verkehre gleichzeitig abfertigen kann und dabei Bremerhaven als Tourismus‐ und Veranstaltungsstandort stärkt. (S. 82)
[9] Universalhafen
Die Hafengruppe Bremen/Bremerhaven ist als Universalhafen zentraler Teil im europäischen Kernnetz. Die Funktion als Universalhafen werden wir erhalten und sicherstellen, dass die deutsche Exportwirtschaft über die bremischen Häfen den Zugang zu den Weltmärkten behält. Bezüglich der in den bremischen Häfen umgeschlagenen Güter werden wir unsere soziale Verantwortung wahrnehmen. Wir wollen den Umschlag von Waffen‐ und Munitionstransporten in Krisengebiete über deutsche und europäische Häfen verhindern. Gemeinsam mit den anderen Küstenländern wollen wir nach Vorliegen und unter Berücksichtigung der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Atomumschlagsverbot prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, dies ohne Verzicht auf die universale Funktion der Häfen zu erreichen. (S. 83)"