Die Verteidiger einer absurden Schuldenbremse feiern in der lokalen Bremer Presse- und Medienlandschaft gerade fröhliche Urstände. Während in Hamburg gerade eine "Volksinitiative Schuldenbremse streichen" 13.000 Unterschriften für eine Landesverfassungsänderung gesammelt hat, ereifern sich in Bremen alle Parteien, außer "Die Linke", in Lobhudelei zu der angeblich gottgegebenen Schuldenbremse. Bei der Chefredakteurin des Weserkurier Silke Hellwig, die schon vor den Wahlen signalisierte, eine andere Koalition zu bevorzugen, kippt nach dem Parteitag der Bremer Linken das Ganze sogar in offene Verhöhnung: "Inzenierung mit verteilten Rollen", "gut gemaunzt: Löwe." Kaum zu glauben, dass "Die Linke" noch vor 7 Jahren auf dem Marktplatz demonstrierte mit der Losung: "Unsere Schuldenbremse heißt Vermögenssteuer". Ob es das Transpi noch gibt, in irgendeinem Büroverschlag, oder wurde es mit dem Eintritt in die Landesregierung gleich mitentsorgt?
Etwas Dümmeres kann es nicht geben: dem Land und der Stadt Bremen die Möglichkeit zu versagen, die Daseinsvorsorge seiner eigenen Bürger (Krankenhäuser, KiTas, Schulen, Sozialwohnungen, Sozialeinrichtungen, Energie- und Wasserversorgung usw.) kommunal zu betreiben und mithilfe - aktuell sogar - zinsloser Kredite vorzufinanzieren. Was für jeden Kapitalisten eine Selbstverständlichkeit ist, soll unserer Landespolitik untersagt bleiben?
Statt Schulen und KiTas mit öffentlichen Geldern zu bauen und zu betreiben, sollen jetzt die letzten frei verfügbaren Millionen, die Bremen noch als "finanzieller Rahmen" hatte, ausgerechnet für einen fast insolventen (klimaschädlichen?) Bremer Flughafen aufgewendet werden und für eine - längst für die Umwandlung in eine Öffentliche reife - Jacobs University Bremen verpulvert werden, die Jahr für Jahr neue staatliche Millionen in ihr schwarzes privates Loch schaufelt. Und obendrein: die fast im Wochenrhytmus steigenden Millionendefizite der GENO müssen nun auch noch ausgeglichen werden. Nach der Wahl kam das alles urplötzlich raus? Für "Soziales" und "Bildung" wird es deshalb "innerhalb der Sachzwänge der Schuldenbremse" immer dünner. War es wirklich anders zu erwarten ?
Statt öffentliche Investitionen in Krankenhäuser, wie aktuell im St.- Jürgen Krankenhaus-Neubau, mit staatlichen Krediten zu finanzieren, sollen Krankenhäuser auch noch Gewinne abwerfen und mit explodierenden Bodenpreisen auf dem Hulsberg Gelände wird nun Kasse gemacht zur Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Bremer Bevölkerung? Auf dem immer teurer werdenden Hulsberger Boden entsteht nun für die Wohlhabenden dieser Stadt ein weiteres stadtzentrales Luxusimmobilienviertel, wie wir es z.B. neben der "Umgedrehten Kommode" schon anschaulich beobachten konnten.
Es wäre ein Leichtes, die Tendenz zu stoppen, dass immer mehr Bürger dieser Stadt mit kleinem und mittlerem Geldbeutel aus den stadtzentralen Bezirken Bremens vertrieben werden, als Folge unbezahlbarer Mietpreise im Verhältnis zu den niedrigen Einkommen in Bremen. Mehr als die Hälfte müssen schon mehr als 30% ihres Einkommens für die Miete aufwenden. - Weitere Verdrängung lässt sich nur mit einem Mietpreisstopp für 5 Jahre stoppen, ähnlich dem Mietendeckel in Berlin. Im Koalitionsvertrag der Bremer Landesregierung wurde ausgehandelt, dass - angelehnt an die Berliner Erfahrungen mit dem Mietendeckel - auch in Bremen ein solches Gesetz angestrebt werden soll. Das ficht Bausenatorin Maike Schäfer nun aber nicht mehr an. Sie verkündet im Weserkurier, diese Koalitionsvertragspassage nach eigenem Gutdünken uminterpretieren zu können.
Es wäre ein Leichtes, die Tendenz fortschreitenden Verkaufs kommunalen Bodens zu stoppen und - wie im Koalitionsvertrag angestrebt - das einzig vernüftige machen: nämlich die Vergabe städtischen Bodens über langfristige Erbpachtverträge mit niedrigen Zinsen. Nur so kann genossenschaftliches und bezahlbares Bauen und Vermieten und die demokratische Gestaltungsmöglichkeit für eine sozialökologische Stadtentwicklung auch für kommende Generationen nachhaltig gesichert werden.
Es wäre ein Leichtes, in allen geplanten Wohnungsbauprojekten in Bremen zu gewährleisten, dass der total geschrumpfte Anteil der Sozialwohnungen in Bremen (von ca. 80.000 in 1989 auf unter. 8.000 in 2019) wieder deutlich erhöht wird und die langfristige Bindung dieser steuerlich geförderten Wohnungen deutlich erhöht wird. Die jetzigen 20 Jahre Bindung sind ein Witz, in Europa einmalig niedrig, und nichts anders als eine soziale Zwischennutzung hin zu weiterer renditeorientierter Mietpreisexplosion. Auch diese Steigerung der Sozialwohnungsquote und der Sozialbindung steht als Absichtserklärung im Koalitionsvertrag. Die Großinvestoren in "Betongold", getrieben vom billigen Geld der Zentralbank und aus Sorge vor dem nächsten Finanz-Crash nach 2007/8, scheren sich darum nicht und scheinen eher an verzerrenden Medienkampagnen und der Diskreditierung der sozialen Bewegungen für bezahlbare Mieten interessiert zu sein.
Es wäre ein Leichtes, die skandalöse Unterversorgung mit KiTas und Grundschulen und das Fehlen von qualifiziertem und gutbezahltem Personal, ausgerechnet in den prekärsten Ortsteilen, durch ein ambitioniertes staatliches Investitionsprogramm zu beheben. Die Bremer Landesregierung hat sich aber im Koalitionsvertrag für das Konstrukt der Umgehung der Schuldenbremse entschieden. Nach Carl Wassmuth von der breiten Berliner Volksinitiative „Unsere Schulen“ (Schulprivatisierung Nein Danke) ist das Konstrukt der Umgehung der Schuldenbremse über sog. "ÖÖP" teuer und birgt große Privatisierungs-Risiken. Als die ersten Überlegungen in Berlin in diese Richtung angestellt wurden, bezeichneten die ersten Gutachter die Modelle sogar selbst als versteckte Privatisierung. Carl Waßmuth kritisiert in den Nachdenkseiten vom 16.08.2019 diesen hinter schönen Worten getarnten Ausverkauf öffentlichen Eigentums. Das scheint uns nun in Bremen bevorzustehen, als Kita- und Schulneubauprogramm von SPD, Grünen und LINKE (die CDU fand die Idee auch super). Über den Weserkurier wurde dann auch die Idee einer ÖÖP Schulbaugesellschaft lanciert.
Ein Video der Berliner Volksinitiative „Unsere Schulen“ (Schulprivatisierung Nein Danke)
Da die (Geheim)Verträge und die Kredite an ÖÖP i.d.R. eine über 30-jährige Laufzeit haben (in Berlin 37 Jahre), führt das dazu, dass die Bremer Steuerzahler*innen sich auf einen langen, teuren Umweg einlassen müssen, bei dem sie für die nun nicht mehr der Stadt gehörenden KiTas und Schulen jahrzehntelang die Bankkredite der Kapitalgesellschaften verzinst werden abzahlen müssen. Die Investoren dahinter gieren nach solchen sicheren Geldanlagen. Die städtisch garantierten Mieteinnahmen fungieren als ansehnliche Sicherheit bei der Kreditaufnahme. Sollten die Kapitalgesellschaften in finanzielle Turbulenzen geraten, ist "das öffentliche Interesse" zweitrangig, es gelten die privatrechtlichen Gesetze. Im Falle von Insolvenz sind die Steuerelder futsch und ein Verkauf an Private kann folgen. Politisch anders ausgerichtete spätere Landesregierungen hätten ein noch leichteres Spiel mit der vollständigen Privatisierung.
Mit dem Hinweis auf den städtischen Besitz an den genannten Kapital-Gesellschaften wird unterstellt, die Bürgerschaft (die Legislative) könne als Volksvertretung Einfluss auf deren Politik nehmen. Das ist aber nicht so einfach. Denn über die Geschäftspolitik von GmbH´s und Aktiengesellschaften erfahren die Bürger*innen, Erzieherinnen, Lehrer, Eltern, und die Mieter*innen kaum was; geschweige denn, dass sie darauf Einfluss nehmen könnten, was ihr gutes Recht wäre, wenn es um öffentliche Gelder für die Daseinsvorsorge geht.
Die neoliberalen Privatisierungswellen der letzten 30 Jahre in den verschiedenen Sektoren: Bildung, Gesundheit, Pflege, im Sozialbereich, in der Wohnungs-, Wasser- und Energieversorgung, hatten jeweils immer wohlklingende Namen und entpuppten sich später als teure Enteignungsprojekte öffentlichen Eigentums und hatten im Sozial- und Gesundheitssektor für die (oftmals weiblichen) Beschäftigten und die Nutzer*innen dieser eigentlich dem Gemeinwohl verpflichteten Versorgungseinrichtungen katastrophlae Folgen.
Der finanzialisierte und global agierende Kapitalismus hat in Billionenhöhe Rendite heischendes, Anlage suchendes Kapital hervorgebracht. Riesige Vermögenswerte, Versicherungskonzerne, weltweit operierende Fonds streben in "sicheres Betongold" und haben die wegen der Schuldenbremse kaputtgesparte öffentliche Infrastruktur als besonders lukratives Anlageobjekt auserkoren. Siehe dazu vertiefend das Buch von Michael Hudson „Der Sektor“ (Klett-Kotta 2016 Rezension in den nachdenkseiten), in der englischen Literatur auch FIRE-Sektor (Finance, Insurance, Real Estate) genannt. Hudson räumt hier mit dem Bild auf, das die Mainstream-Ökonomie vom Finanzsektor vermittelt. Diese suggeriert, dass die Kapitalmärkte die für das Wirtschaftswachstum notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen und damit einen wichtigen Beitrag für das Wohlergehen einer Gesellschaft leisten. Hudson stellt dieses Bild vom Kopf auf die Füße. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei diesem aufgeblähten Finanzsektor um einen räuberisch und ausbeuterisch agierenden Sektor, der losgelöst von der Realwirtschaft agiert.
Der ThinkTank "Bertelsmann Stiftung" mit ihrer dahinter stehenden Multimilliardärsfamilie Mohn (selbst im Gesundheitssektor operierend) veröffentlichte gerade mithilfe ihres Medien-Oligopols ihre neuesten "wissenschaftlich" getarnten Untersuchungsergebnisse: 1000 öffentliche Krankenhäuser gilt es danach plattzumachen. „Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang“ – treffender konnte es der inzwischen verstorbene Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn 1996 in einem „Stern“-Interview nicht zusammenfassen: die durch Steuermittelabbau einsetzende Strangulierung des (Sozial‑) Staats und des Gesundheitswesens; und die nachfolgende Privatisierung.
Die bewußt herbeigeführte Notlage der Kommunen (Schuldenbremse) zwingt Politiker*innen nun in eine neoliberale Logik der Privatisierung hinein, ganz unabhängig vom Parteibuch. Es ist traurig mitanzusehen, wie eine der Schuldenbremse unterworfene Linksfraktion in der Landesregierung sich dabei selbst ins Aus manövriert hat. Bleiben noch die aufrechten Linken in der Partei, die zur Zeit eher schwinden, die sich konsequent an die Seite der sozialen Bewegungen stellen. Nur von dort kann der Druck zu einer sozial gerechten Politik kommen.
Buchempfehlung: Schreiner, Patrick; Eicker-Wolf, Kai (2017): Mit Tempo in die Privatisierung. Autobahnen, Schulen, Rente –und was noch. PapyRossa Verlag Köln
(von Rodolfo Bohnenberger)