(Foto: pixabay) Der DGB hat vor kurzem seinen „Rentenreport Bremen 2020“ vorgelegt (Der gesamte, 28 Seiten umfassende Report kann hier herunter geladen werden). Ein verdienstvolles Unterfangen, bietet der Report doch eine gute Grundlage für verändertes politisches Handeln. Es erstaunt auch wenig, dass die Verhältnisse in Bremen sich nur geringfügig von denen in der gesamten Republik unterscheiden: Die Altersarmut nimmt insgesamt zu, vor allem Frauen sind am deutlichsten betroffen.
Die erschreckenden Ergebnisse des Reports sollen hier nicht im einzelnen wieder gegeben werden, denn der Rentenreport selbst ist leicht lesbar und das Zahlenmaterial gut aufbereitet. Wir wollen hier nur einige herausragende Ergebnisse vorstellen: Der durchschnittliche männliche Bestandsrentner hat 2018 verglichen mit dem Jahr 2000 unter Berücksichtigung des Kaufkraftverlustes einen realen Verlust von 202 Euro hinzunehmen.
Und das, obwohl die deutsche Wirtschaft bis 2019 das zehnte Jahr in Folge ununterbrochen gewachsen ist (von 2.109,09 Milliarden Euro in 2000 auf 3.344,37 Milliarden Euro in 2018). Bei den Rentnern ist die beeindruckende Vermehrung des Reichtums unserer Gesellschaft jedenfalls nicht angekommen, sie gehören eher zu den Melkkühen der Nation.
Noch schlimmer sieht es übrigens bei den Erwerbsminderungsrentnern aus, hier beträgt der Rückgang unter Berücksichtigung der Inflation stolze 351 Euro. Willkommen im Sozialstaat !
153 000 Menschen bezogen in 2018 in Bremen Rente, das sind 22,5 % der Gesamtbevölkerung, etwas weniger als im Bundesdurchschnitt (25,4 %). Bis heute ist dabei die Frauendiskriminierung eklatant: 338 Euro weniger als die Männer erhielten Frauen, die im Jahr 2018 erstmals eine Rente erhielten, Familien- und Pflegearbeit wird bis heute also völlig unzureichend als Lebensleistung anerkannt. Drei Viertel der Frauen, die 2018 erstmalig eine Rente erhielten, liegen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle, die allgemein bei 1035 Euro angesetzt wird.
Besonders alarmierend ist die Situation bei den Erwerbsminderungsrenten. „Rund 90 % der Frauen und 81 % der Männer erhalten weniger als 1.035 Euro und liegen damit unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle“ (Report S. 15).
Die Aufzählung der Erniedrigungen, die diejenige Generation erleiden muss, die den Reichtum unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitet hat, sei es durch Erwerbsarbeit, sei es durch Erziehungs- und Pflegearbeit, ließe sich noch lange fortsetzen. Sie ist in wesentlichen Teilen Ergebnis einer Politik von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen in den vergangenen 20 Jahren, die sich alle Mühe gaben, die Spaltung zwischen Arm und Reich zu vertiefen und unseren Sozialstaat häppchenweise zu zerstören.
Einige kritische Anmerkungen
Die Präsentation des Rentenreports durch den DGB ist jedoch auch kritikwürdig. Zum einen ist da die unzureichende Analyse des Zahlenmaterials selbst. Im Rentenreport ist zu lesen, dass die Armutsgefährdungsquote von RentnerInnen und PensionärInnen von 10,6 % im Jahr 2008 auf 16,6 % im Jahr 2018 stieg, eine Steigerung von ca. 57 %. Doch dadurch, dass Rentner und Pensionäre zusammengefasst werden – mehr gibt die veröffentlichte Statistik nicht her – werden die Unterschied dieser beiden Personengruppen nicht deutlich. Der Statistikexperte Prof. Gerd Bosbach hatte deshalb im vergangenen Jahr auf eigene Kosten eine Sonderauswertung der Zahlen für 2017 (für Deutschland) vornehmen lassen. Das Ergebnis: 16 % waren das Ergebnis für Rentner und Pensionäre zusammen (so wie das Bremer Ergebnis für 2018), betrachtet man nur die Pensionäre, so lag die Armutsgefährdungsquote bei 0,9 %, bei reinen Rentnerhaushalten bei 19,5 %. Würde man eine solche Unterscheidung auch für Bremen vornehmen, käme man auf ein ähnliches Ergebnis, d.h. die Armutsgefährdungsquote liegt in Bremen bei ca. 20 % oder höher - ein skandalöser Wert.
Da entsprechendes Zahlenmaterial in den statistischen Ämtern offensichtlich vorliegt und lediglich aufbereitet werden muss, sollte der DGB in Zukunft diese Auswertung vornehmen, wird damit doch deutlich, dass es der Mehrzahl der Rentner noch schlechter geht, als es die veröffentlichten Durchschnittszahlen suggerieren.
Noch weitaus kritischer sind die rentenpolitischen Forderungen des DGB zu sehen. Natürlich gibt es hier viele unterstützenswerte Forderungen: So z.B. die Forderung, versicherungsfremde Leistungen voll aus Steuermitteln zu finanzieren, die Rentenversicherung auf weitere Erwerbstätigengruppen wie Selbständige und Minijobber auszuweiten, eine Veränderung bei den Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, die Forderung nach Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten, die Forderung nach einer Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro oder das Rentenalter wieder auf 65 Jahre zu senken. Nicht zu vergessen die Notwendigkeit, für ein besseres Lohnniveau zu sorgen.
Doch relativ fassungslos lässt uns die folgende Aussage zurück: „Daher ist es richtig, dass die große Koalition eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf dem heutigen Stand von 48 Prozent bis 2025 beschlossen hat. …. Wir brauchen dauerhaft sicherere Renten durch eine Erhöhung des Niveaus auf 50 %.“ (Rentenreport S. 22).
Mit diesem Lob der großen Koalition arrangiert man sich mit der bestehenden Altersarmut, ein Schlag ins Gesicht von Millionen von Rentnern! Auch die Forderung nach einer Erhöhung auf 50 % ist lächerlich wenig und gleicht einer Kapitulation vor der Armut eines erheblichen Teils unserer Gesellschaft. Es sei daran erinnert, dass das Rentenniveau im Jahr 1980 bei 57,6 % lag, wie der DGB selbst schreibt (S.14).
Der DGB täte gut daran, Eigenständigkeit zu beweisen bzw. zu entwickeln und sich nicht an die Forderungen der politischen Sphäre anzuhängen, die in der Vergangenheit unseren Sozialstaat Stück für Stück kannibalisiert hat. Es geht nicht nur darum, Altersarmut jetzt – hier und heute - und in Zukunft zu vermeiden, es geht auch um Glaubwürdigkeit im öffentlichen Bewusstsein, das der DGB nicht leichtfertig verspielen sollte (soweit es überhaupt noch vorhanden ist). Einer Radikalisierung mit ungewissem Ausgang wird hier Vorschub geleistet, die AfD reibt sich schon die Hände.
So wäre es z.B. wünschenswert, wenn der DGB die gegenwärtige Diskussion um die Grundrente, bei der ca. 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich für die Rentner ausgegeben werden sollen, entsprechend skandalisieren würde. Da werden Dutzende von Milliarden Euro für Zockerbanken gezahlt, damit diese weiter machen können wie bisher, begründet mit der Systemrelevanz der Banken. Rentner werden offensichtlich nicht als systemrelevant erachtet. Da zahlt der Staat Dutzende von Milliarden Euro für dubiose und kriminelle Finanzgeschäfte, da werden riesige Summen von Schwarzgeldern ins Ausland verfrachtet, da werden Finanztransaktionen nicht oder fast nicht besteuert – die Menschen aber, die im Mittelpunkt demokratischen Handelns stehen sollten, werden betrogen. Auch ein Blick in unsere Nachbarländer wie Österreich, Dänemark oder die Niederlande zeigt, dass selbst innerhalb unseres Systems eine gerechtere und würdigere Rentenpolitik möglich ist.
Was wir brauchen, ist ein qualitativ neues Rentenkonzept, das sich an den Bedürfnissen und Nöten der Betroffenen und nicht an den Interessen von einigen wenigen orientiert.
Helmuth Weiss