Laut eigener Angaben der Bremer Tafel kommen täglich über 350 sog. "Bedarfsgemeinschaften" in die Ausgabestellen der Tafel, insg. sechs über das Stadtgebiet verteilt, incl. der neueingerichteten Seniorenangebote für die wachsende Zahl der Älteren. Über 7000 Menschen, Männer, Frauen und Kinder, können nur über spendenbasierte Verteilung von Lebensmitteln ihren Hunger in Bremen stillen. Und über Kooperationen des Vereins Bremer Tafel e.V. mit verschiedenen Sozialeinrichtungen werden noch deutlich mehr Bremer*innen mit versorgt , denen es schwer fällt, selbst den entwürdigenden Gang zur Ausgabestelle zu bewältigen.
In Bremen versuchen über 600 Obdachlose irgendwie zu überleben. Die Zahl - besonders derer aus Osteuropa ohne Sozialleistungsanpruch - steigt, aber auch die der jugendlichen Obdachlosen.
Im Winter, unter Coronaauflagen, mit reduzierten Aufnahmeplätzen in Noteinrichtungen, sieht es für sie elendig aus, wegen der Kälte manchmal auch lebensbedrohlich. Die groß angekündigten 50 "Housing First" Angebote sollen erst im Frühjahr starten. Laut Schätzungen sind zudem Tausende ohne eigenen Mietvertrag, als "Couchsurfer" haben sie bei Freunden/Verwandten Unterschlupf gefunden, letztlich müssen sie auch als Wohnungslose angesehen werden. Hinzu kommt seit 20 Jahren, dass fehlende Sozialwohnungen und explodierende Mieten viele Menschen aus ihren Wohnungen und damit auch aus ihren sozialen Netzwerken vertreiben. Brutaler, menschenverachtender, finanzialisierter Kapitalismus. Das ließe sich nur ändern, wenn Grund und Boden und die Wohnungsversorgung dem renditegetriebenen Markt entzogen würde, wie es die tolle Berliner Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" mit einer Volksabstimmung im kommenden Jahr herbeiführen will.
Die Altersarmut steigt von Jahr zu Jahr als Folge der Niedriglohnpolitik und der Kastration der umlagefinanzierten Rente in den letzten 30 Jahren. Waren es früher hauptsächlich die erbärmlichen Frauenrenten, die viele Frauen zwang, zum blanken Überleben Grundsicherung im Alter zu beantragen, verdoppelte sich in den letzen 8 Jahren die Zahl der männlichen Grundsicherungsbezieher, hier besonders der Altersgruppe 65-70. Fast jede/r Zehnte 65-70-Jährige Neurentner in der Stadt Bremen muss nun schon Grundsicherung beantragen. 9753 Grundsicherungsempfänger im Alter hatten wir in Bremen 2006, 15.500 waren es 2017.
Unser Mitstreiter Helmuth Weiss schrieb am am 15.11.2019 in NACHDENKEN IN BREMEN: "Die Koalition hat im November 2019 das Konzept für eine Grundrente vorgelegt, das erbärmlicher kaum sein könnte. Maximal 1,5 Millarden Euro pro Jahr zusätzlich sind unseren Politikern die Rentner wert, gleichzeitig sind riesige Milliardengeschenke an die Unternehmerschaft vorgesehen. Geht man von 1,5 Mio. Menschen aus, die von dieser Grundrente „profitieren“ werden, so bedeutet das im Durchschnitt 80 Euro mehr im Monat. Nach diesem Kompromiss sollte die SPD eigentlich das Wort Sozial aus ihrem Parteinamen streichen."
Wir haben es mit einer Bankrotterlärung eines nur noch dem Namen nach "Sozialstaates" zu tun. Könnte es sein, dass Armut gar kein Betriebsunfall ist, sondern systemnotwendig in der „Wettbewerbsgesellschaft" sein könnte? Dazu das Video einer Tagung in Wuppertal weiter unten.
Und die Stadt Bremen ist zudem regional tief gespalten. Die Armut ballt sich in den immer gleichen Ortsteilen, der Reichtum in den anderen Orsteilen. Alle parteiübergreifenden Appelle und wohlklingenden Koaltionsverträge egal welcher Pareizugehörigkeit halten diese über Gentrifizierung, Niedriglohnsektor, Schuldenbremse und Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge gespeiste Tendenz nicht auf. Nun, unter den Corona-Maßnahmen, verschärft sich das noch. Die Zahl der Arbeitslosen und Hartz IV Bezieher steigt und steigt, als Folge der Schließung ganzer Branchen und der Berufsverbote.
Auskömmliche Alterseinkünfte, die nicht auf "Almosen" angewiesen wären, können aber nur erreicht werden, wenn auf gute Löhne aus guten Arbeitsverhältnissen gute Renten aus einem starken Rentensystem resultieren. Dafür aber dürften nicht mehr die Lobbyisten der privaten Rentenversicherungskonzerne den Kurs bestimmen, sondern die Interessen der einfachen Menschen müssten in der Politik wieder zu Geltung kommen. Ein grundlegender Kurswechsel der Politik im Bund und im Land wäre möglich. Wir brauchen nur ins Nachbarland Österreich zu schaun. Dort zahlen Alle in die umlagefinanzierte Rente ein und im Durchschnitt erhalten die Rentner*innen 800 Euro mehr im Monat, ohne dass igendetwas zusammengebrochen wäre, im Gegenteil, es hat sich bewährt. Das geht auch hier in unserem Land!
Und nun gerät als Folge der Finanz- und Wirtschaftkrise und der Niedrigzinspolitik auch die sog. "private Vorsorge" unter Druck. Der größte deutsche Versicherer, die Allianz, verkündete im Oktober 2020: Altersvorsorgeprodukte werden ab dem kommenden Jahr nicht mehr mit einer 100-prozentigen Beitragsgarantie verkauft. Holger Balodis und Dagmar Hühne schreiben dazu in ihrem Buch "Rente rauf! So kann es klappen": "Sowohl die Betriebsrenten als auch die private Vorsorge mit Lebensversicherungsprodukten, also die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge, funktionieren offenbar nicht, jedenfalls nicht so, wie man uns das seit 20 Jahren erzählt hat. Erfunden wurde das Drei-Säulen-Modell, weil Schröder und Riester um die Jahrtausendwende behaupteten, die gesetzliche Rente stünde quasi kurz vor dem Ruin. Wie es nun scheint, ist es genau andersherum.
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