Laut eigener Angaben [2020] der Bremer Tafel kommen täglich über 350 sog. "Bedarfsgemeinschaften" in die Ausgabestellen der Tafel, insg. sechs über das Stadtgebiet verteilt, incl. der neueingerichteten Seniorenangebote für die wachsende Zahl der Älteren. Über 7000 Menschen, Männer, Frauen und Kinder, können nur über spendenbasierte Verteilung von Lebensmitteln ihren Hunger in Bremen stillen. Und über Kooperationen des Vereins Bremer Tafel e.V. mit verschiedenen Sozialeinrichtungen werden noch deutlich mehr Bremer*innen mit versorgt , denen es schwer fällt, selbst den entwürdigenden Gang zur Ausgabestelle zu bewältigen.
Die Altersarmut in Bremen ist von 2010 bis 2020 drastisch gestiegen, das ergibt sich aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der CDU in der Bürgerschaft (Landtag) am 9. Dezember 2021: "Lebenslagen und Existenznotlagen von Seniorinnen und Senioren im Land Bremen". Danach stiegen die Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kap. SGB XII), die außerhalb von Einrichtungen leben (also in einer eigenen Wohnung), im Land Bremen von 6 400 im Jahr 2010, auf 8 256 im Jahr 2015 auf nun schon 9 270 im Jahr 2020. (Stichdatum jew. Dez. des Jahres).
Alle Grundsicherungsbezieher im Alter sind noch gar nicht darin enthalten, denn rund ein Drittel der Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen stehen ebenfalls im Bezug der ärmlichen Grundsicherung im Alter. In der Grundsicherung enthalten ist die sog. KdU (Kosten der Unterkunft), ein meist unzureichender Zuschuss zur Finanzierung der ständig steigenden Wohn- und Energiekosten.
Hinzu kommen einkommensarme Haushalte in der Stadt Bremen (ohne Grundsicherung) aber mit Wohngeldbezug, das sind heute schon 2 000 Haushalte, davon 1000 Rentnerhaushalte. Die Senioren , die aus Scham lieber gar keine ihnen rechtmäßig zustehende Sozialleistung beantragen, sind statistisch unsichtbar. Senioren im Land Bremen machen circa 18 Prozent der Antragsteller auf einen Wohnberechtigungsschein für eine Sozialwohnung (falls überhaupt noch vorhanden) aus.
Die Altersarmut steigt von Jahr zu Jahr als Folge der von Hartz I bis IV befeuerten Niedriglohnpolitik und der Kastration der umlagefinanzierten Rente in den letzten 30 Jahren. Waren es früher hauptsächlich die erbärmlichen Frauenrenten, die viele Frauen zwang, zum blanken Überleben Grundsicherung im Alter zu beantragen, verdoppelte sich con 2010-2017 (siehe Grafik) die Zahl der männlichen Grundsicherungsbezieher, hier besonders der Altersgruppe 65-70. Fast jede/r Zehnte 65-70-Jährige Neurentner in der Stadt Bremen muss nun schon Grundsicherung beantragen. 9753 Grundsicherungsempfänger im Alter hatten wir in Bremen 2006, 15.500 waren es 2017.
Helmuth Weiss schrieb am am 15.11.2019 in NACHDENKEN IN BREMEN: "Die Koalition [im Bund] hat im November 2019 das Konzept für eine Grundrente vorgelegt, das erbärmlicher kaum sein könnte. Maximal 1,5 Millarden Euro pro Jahr zusätzlich sind unseren Politikern die Rentner wert, gleichzeitig sind riesige Milliardengeschenke an die Unternehmerschaft vorgesehen. Geht man von 1,5 Mio. Menschen aus, die von dieser Grundrente „profitieren“ werden, so bedeutet das im Durchschnitt 80 Euro mehr im Monat. Nach diesem Kompromiss sollte die SPD eigentlich das Wort Sozial aus ihrem Parteinamen streichen."
Wir haben es mit einer Bankrotterklärung eines nur noch dem Namen nach "Sozialstaates" zu tun. Könnte es sein, dass Armut gar kein Betriebsunfall ist, sondern systemnotwendig in der sog. „Wettbewerbsgesellschaft" ist? Im ungeschminkten neoliberalen Kapitalismus sind - nach Jahrzehnten der Schufterei und Einzahlung in die Sozialversicherungen - die nicht arbeitsfägigen "Überflüssigen" ein reiner Kostenfaktor, der zu vernachlässigen ist. Nicht nur das: die gesellschaftliche Daseinsvorsorge ist zum begehrten Privatisierungs-Objekt renditeorientierter Großinvestoren wie z.B. Black Rock geworden.
Zudem ist Bremen regional tief gespalten. Die Armut ballt sich in den ohnehin schon ärmeren Ortsteilen, der Reichtum in den Ortsteilen mit wohlhabender Bewohnerschaft. Alle parteiübergreifenden Appelle und wohlklingenden Koalitionsverträge, egal welcher Parteizugehörigkeit, konnten und wollten diese über Gentrifizierung, Niedriglohnsektor, Schuldenbremse und Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge gespeiste Tendenz nicht aufhalten. Die Corona-Maßnahmen der Landesregierung verschärfen das noch. Die Zahl der Arbeitslosen und Hartz IV Bezieher steigt und steigt, als Folge der Schließung ganzer Branchen und der Berufsverbote im Zuge der Coronaverordnungen und des Impflichtdrucks.
Auskömmliche Alterseinkünfte, die nicht auf "Almosen" angewiesen wären, könnten aber nur erreicht werden, wenn auf gute Löhne aus guten Arbeitsverhältnissen gute Renten aus einem starken Rentensystem resultieren. Das war jedoch nur in den 1960er Jahren des letzen Jahrhunderts vorübergehend so. Ab Mitte der 1970er Jahre begannen die Lobbyisten der privaten Rentenversicherungskonzerne den Kurs zu bestimmen. Die Interessen der einfachen arbeitenden Menschen traten in den Hintergrund, auch Dank gefügig gemachter Gewerkschaften und der brutalen Agenda 2010 von "Rot/Grün" 1998-2005. Dass es anders ginge mit den Renten, sehen wir im Nachbarland Österreich. Dort zahlen Alle in die umlagefinanzierte Rente ein und im Durchschnitt erhalten die Rentner*innen ca. 800 Euro mehr im Monat, ohne dass igendetwas zusammengebrochen wäre; im Gegenteil, es hat sich bewährt.
Und nun gerät als Folge der Finanz- und Wirtschaftkrise (nicht der sog. "Pandemie", die seit 2 Jahren für alles verantwortlich gemacht wird) auch die sog. "private Vorsorge" immer mehr unter Druck. Der größte deutsche Versicherer, die Allianz, verkündete im Oktober 2020: Altersvorsorgeprodukte werden ab 2021 nicht mehr mit einer 100-prozentigen Beitragsgarantie verkauft. Sowohl die Betriebsrenten als auch die private Vorsorge mit Lebensversicherungsprodukten, also die sog. zweite und dritte Säule der Altersvorsorge, funktionieren offenbar nicht, jedenfalls nicht so, wie man uns das seit 20 Jahren erzählt hat. Erfunden wurde das Drei-Säulen-Modell, weil Schröder und Riester um die Jahrtausendwende eine Propagandakampagne starteten, in der sie behaupteten, die gesetzliche Rente stünde quasi kurz vor dem Ruin. Wie es nun deutich wird, ist es genau andersherum.
Dass nach den Plänen der aktuellen "Ampelkoalition" im Bund nun auch noch Teile der geschrumpften gesetzlichen Rentenversicherung den sog. "Finanzmärkten" ausgeliefert werden soll, ist der blanke Hohn. Hier wird die Lebensleistung von Millionen Erwerbstätigen und ihre Einzahlung in eine umlagefinanzierte Versicherung per Regierungsbeschluss den Spekulanten ausgeliefert.
Warum werden unsere Renten nicht demokratisch von den Einzahlenden Werktätigen selbst demokratisch verwaltet? Wer regiert in diesem nur noch dem Schein nach demokratischen Land?