Das BVerfG Urteil bringt den Berliner Mietendeckel zu Fall - das soll Demokratie sein ?

(von Rodolfo Bohnenberger, update 18.04.2021)

Vergesellschatung hält ein Leben lang

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März, veröffentlicht am 15.04.2021 (1), das den Berliner Mietendeckel vom 23. Februar 2020 zu Fall gebracht hat, ist eine handfeste Niederlage für alle Mieter:innen nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Land. Es wird die Verdrängung von einkommensärmeren Mieter:innen aus ihren Wohnbezirken (in Berlin und woanders) weiter verschärfen, weil die Mieten nun wieder völlig ungezügelt in unbezahlbare Höhen steigen; mit brutalen Konsequenzen für die Mehrheit, insbesondere für Ältere, für Kinder und Familien. Deren elementare soziale Netzwerke, KiTa- und Schulanbindung und gewachsene Versorgungsstrukturen brechen weg und die Klassenspaltung manifestiert sich noch gravierender in segregierten Stadtteilen. Bremen kann davon eine trauriges Lied singen.

Die von der Immobilienlobby herbeikonstruierte Begründung, im Klageverfahren vor dem BVerfG politisch vertreten durch CDU und FDP, die sich nun im BVerfG Urteil wiederfindet, ist abstrus. Ein Bundesland hätte angeblich kein Recht über solche Dinge zu entscheiden, weil das Bundessache wäre. Aber hatte nicht der Bund große Teile der Zuständigkeit für das Wohnungswesen im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 den Ländern übergeben, und sich damit auch geschickt aus der Bundesfinanzierungspflicht dafür verabschiedet? (2)

Ein von den Abgeordneten in Berlin in einem geordneten parlamentarischen Verfahren beschlossenes Gesetz wurde durch ein absolutistisch-rechtsexpertokratisch durchregierendes Bundesverfassungsgericht, einer "Juristokratie", nichtig gemacht. Das wirft offensichtliche Fragen auf zum Zustand unserer "Demokratie" und der darin amputierten Volkssouveränität. Bei Ingeborg Maus finden wir historische und demokratietheoretische Ausarbeitungen dazu. Maus plädiert dafür, uns rückzubesinnen auf die revolutionären Demokraten der Aufklärung im 18. Jh., auf Sieyes, Rousseau, Kant und andere.

"In jeder Verfassung, die sich überhaupt auf das Prinzip der Volkssouveränität beruft, ist das Volk durch seine Funktion eindeutig bestimmt: Es ist als Gesetzgeber GEGENSPIELER der gewalthabenden (exekutivischen und judikativen) Staatsapparate."  Maus, Ingeborg (2011): Über Volkssouveränität. Suhrkamp, 2. Auflage 2019

Und uns bewusst zu werden, wie raffiniert es herrschende Machteliten und die ihnen dienenden Staats- und Verfassungsrechtler (Carl Schmitt und viele andere) in über 100 Jahren geschafft haben zu verschleiern, was wahre Volkssouveränität und Demokratie überhaupt ist; und wie wenig die Inthronisierung eines „vormodernen Naturrechts“ (Maus) in Gestalt eines sich anmaßenden Bundesverfassungsgerichts damit zu tun hat.

Für die bundesweite Mieterbewegung gibt es nun dringenden Anlass für eine schonungslose Selbstkritik ihrer bisherigen Strategie und dann für einen Neubeginn. Und dieser Neubeginn ist gar nicht so neu, er läuft schon länger in Berlin mit der Bewegung für ein Bürgerbegehren aufbauend auf Artikel 14 und 15 der Grundgesetzes: "Deutsche Wohnen & Co enteignen"! Nachahmenswert auch in anderen Bundesländern! Etwa 240.000 Wohnungen von Immobilienkonzernen werden danach in Berlin vergesellschaftet. Viele davon waren vorher schon in Kommunalbesitz und wurden unter Finanzsenator Sarrazin in Berlin und einer SPD/LINKE Landesregierung privatisiert. - Als neue Trägerin des Gemeineigentums soll eine Anstalt des öffentlichen Rechts unter dem Namen "Gemeingut Wohnen" entstehen. Erträge aus der Bewirtschaftung des Gemeineigentums dürfen dann nicht ausgeschüttet werden, Spekulanten gehen leer aus, und die gebündelten Wohnimmobilien dürfen anschließend nicht auf eine andere natürliche oder juristische Person übertragen werden.

Wie kam es überhaupt zu dieser Mietendeckel Initiative ?

Sie kam als Ablenk-Reaktion auf eine starke (nicht nur Berliner) Bewegung für die Vergesellschaftung von großen Wohnungskonzernen, mit Zustimmungswerten von über 50% in Berlin! Der (ohnehin nur 5-jährige!) Mietendeckel endete so, wie von den machtelitären Strategen angestrebt: Ein Jahr lang lag das BverfG-Urteil in der Schublade und wurde nun, nachdem alle im Ausnahmezustand niedergeschlossen wurden, punktgenau terminiert vor den Bundestagswahlen, medienwirksam präsentiert. Ein politisches Desaster für alle Mieter:innen in diesem Land und von der CDU ein wahlkampftaktischer Seitenhieb auf SPD und LINKE. Es ist ein vorläufiger Sieg der im Hintergrund lobbyierenden, ausschließlich renditeorientierten Wohnungskonzerne und Kapitalinvestoren, wie z.B. Black Rock (Ex Deutschland Chef: Friedrich Merz) mit ihren 9 Billionen Anlage suchendem Kapital. Das sind die eigentlich im Hintergrund Regierenden in diesem Land.

Die Volksentscheid-Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" läuft gerade in Berlin mit der Mammutaufgabe von über 200.000 zu sammelnden Unterschriften bis Ende Juni. Davon sind ca. 1/3 geschafft. Hier kann bundesweite Unterstützung wirklich helfen, und natürlich nachahmende Initiativen in anderen Bundesländern. Also: Volksentscheide müssen her !

Auf keinen Fall sollte jetzt – wie es die SPD gerade versucht - ein ohnehin unerreichbares bundesweites Mietenstopp Gesetz propagiert werden, das wäre die nächste politische Sackgasse.
Die Volksentscheid-Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" verdient unsere Unterstützung, mehr Infos unter: https://www.dwenteignen.de/warum-enteignen/

Quellen:

(1) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/fs20210325_2bvf000120.html

(2) "Die Zuständigkeit für die soziale Wohnraumförderung liegt seit der Streichung der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das „Wohnungswesen“ in Artikel 74 GG a. F. im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 bei den Ländern und den einzelnen Kommunen. Damit konform sieht auch der nach Artikel 125a Absatz 1 GG mangels Ersetzung durch Landesrecht als Bundesrecht fortgeltende § 3 WoFG vor, dass Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände bei der sozialen Wohnraumförderung zusammenwirken und die Länder die soziale Wohnraumförderung als eigene Aufgabe durchführen." (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, S. 4) https://www.bundestag.de/resource/blob/694138/a884e61899751fd89cb92a138f0dd1a9/WD-7-029-20-pdf-data.pdf